Wolfgang Wagner

Wagners Enkel und Sachwalter

Nachruf, 23. März 2010

Erkennen deinen Großvater

Eine Begegnung mit ihm im Bayreuther Festspielhaus konnte beinahe sagenhaft sein: War es doch im ersten Moment oft so, als erschiene der Meister leibhaftig. Vielleicht bildete sich die Umwelt auch nur ein, dass mit den Jahren die Ähnlichkeit zwischen Wolfgang Wagner und seinem Großpapa immer größer geworden war. Doch der Anblick war so verblüffend wie die Tatsache, dass dieser Mann, wenn er im charakteristisch fränkischen Staccato »mein Großvatter« sagte, tatsächlich von Richard Wagner sprach.

So weit gespannt sind die Generationen von Bayreuth, dass das Geburtsdatum des Komponisten und jenes seines Enkels mehr als 100 Jahre auseinanderliegen.

Wolfgang Wagner hat denn auch seinen Großvatter, dessen Gedanken er immer wieder beschwor, gar nicht gekannt. Der war 1883 gestorben.

Er kam 1919 als Sohn von Siegfried Wagner und dessen wegen ihrer guten Beziehungen zu Adolf Hitler nachmals so heftig umfehdeten Frau Winifred zur Welt - hineingeboren in jenes Bayreuth, in dessen Festspielbezirk die damalige Weimarer Republik früher zu Grabe getragen schien als im Rest von Deutschland. Jedenfalls hatte man als Erbteil der deutschnationalen Gesinnung der Familie - die sich viel mehr an manchen von Richard Wagners radikalen politisch-rassistischen Schriften als an Operntexten und Musik orientieren wollte - die Bayreuther Festspiele ostentativ in den Dienst der NS-Propaganda gestellt.

Es waren Wolfgang Wagner und sein Bruder Wieland, die 1951 die Umkehr schafften. Die Neudefinition Bayreuths als künstlerische Avantgarde schien zunächst ausschließlich den Stempel Wielands zu tragen, dessen radikal entschlackten, vor allem von Lichtregie und psychologischer Personenführung getragener Inszenierungsstil Theatergeschichte schrieb.

Doch es war bereits damals Wolfgang Wagner, der im Hintergrund die Fäden zog. Die kluge organisatorische Strukturierung eines moderne Festivals lag in seiner Hand. Von 1953 an war Wolfgang zudem auch als Regisseur aktiv und erwies sich als vielleicht konservativer, aber durchaus energetischer Animator.

Unermüdlicher Animator


Der ist er geblieben. Erst nach der Jahrtausendwende verschwand mit der dritten seiner Meistersinger-Produktionen die letzte Wolfgang-Wagner-Inszenierung aus dem Spielplan. Da war der sommerliche Reigen rund um Richard Wagners Musikdramen längst als Hort zeitgenössischer Regiearbeiten berühmt und berüchtigt. Als Wieland Mitte der Sechzigerjahre plötzlich starb, war dem Bruder bald klar, dass er allein die Festspiele nicht nachhaltig künstlerisch prägen würde können. Die Zügel ließ er nicht sinken - erst im hohen Alter von 88 Jahren übergab er die Festspiel-Führung an seine Töchter Eva (aus erster Ehe) und Katharina. Doch holte er bald andere Regisseure ins Festspielhaus.

Es war der von vielen deutschen Kritikern als rückschrittlich verurteilte Wolfgang Wagner, der mit Patrice Chereau, Harry Kupfer und Götz Friedrich die prägenden Erneuerer der Opernästhetik verpflichtete. Es war Wolfgang Wagner, der auch eine Generation später noch mit den zum Teil derzeit in Bayreuth aktiven Regisseuren Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und Stefan Herheim die meistdiskutierten Inszenatoren holte; und - für den diesjährigen Lohengrin - sogar Hans Neuenfels noch zu einem späten Bayreuth-Debüt verhalf.

Vor allem aber hat Wolfgang Wagner die musikalischen Zeichen der Zeit erkannt und nach Horst Stein, James Levine und Daniel Barenboim mit Christian Thielemann im Jahr 2000 jenen Mann zum Hauptdirigenten gemacht, der seither vom Publikum als der Wagner-Interpret schlechthin gefeiert wird.

So blieb denn über viele Anfeindungen und gewiss auch problematische Versuche hinweg Bayreuth jene Experimentierbühne, die Richard Wagner immer aufs Neue als Zeitgenossen im Geiste zur Diskussion zu stellen versucht. Der Großvatter hätte zumindest daran gewiss seine Freude.




↑DA CAPO