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29. Februar 2004

Donna Anna, sinnlos exekutiert

Zu Mozarts "Don Giovanni" in der Wiener Staatsoper mit Anna Netrebko und Seiji Ozawa.

Selten ist der Auftritt einer Sopranistin in der Wiener Staatsoper im Vorfeld so beworben worden: Anna Netrebko wird, so konnte man aus allen Lautsprechern hören und in allen Farbmagazinen lesen, die Donna Anna singen. Die junge Russin gilt seit ihrem Salzburger Festspieldebüt in der nämlichen Partie als Weltstar. Dass sie die Donna Anna wirklich singt - in jenem Sinne, in dem man dieses schlichte Wort für die Gestaltungskünste großer Opernsänger verwendet - kann man nach wie vor nicht sagen.

Auf der Bühne erscheint eine blendend aussehende junge Dame, die keinen Zweifel über die Frage aufkommen lässt, warum Don Giovanni sie verfolgt. Mozart hat seiner Primadonna aber manch heikle Passage komponiert, mit der auf vokalem Wege allerhand gefühlsintensive, beredte Details über menschliche Regungen im allgemeinen und Befindlichkeiten dieser jungen Dame im besonderen transportabel wären.

Davon macht Netrebko nicht einen Punkt, nicht einen Beistrich deutlich. Sie singt - nota bene mit etwas angeschärfter, gradliniger Stimme - die Noten. Eine Lautstärke, ein Intensitätsgrad. Selbst im Maskenterzett, einem der metaphysischen Augenblicke in dieser zu Recht geradezu dämonisierten Partitur, gibt sie ihre tönende Uniformität nicht auf. So oberflächlich, so sinnlos exekutiert hat diese Passage des ersten Finales in Wien selten geklungen.

Was nicht nur an den Stimmen liegt: Soile Isokoski führt ihren Sopran als Donna Elvira so kultiviert wie gewohnt; Rainer Trost bemüht sich - etlichen Anstrengungen in der oberen Mittellage zum Trotz - einen recht differenzierten Ottavio zu phrasieren. Aber Seiji Ozawa waltet am Pult, und das klingt keinen Deut so, als ob da ein überlegter, überlegener Gestalter am Werk wäre, ein Kapellmeister, der die Fäden in der Hand hat und en gros wie en detail die Dramaturgie Da Pontes und Mozarts dirigierte.

Fragwürdigste Disharmonien

Bei Ozawa ereignen sich vielmehr völlig disparate Tempo-Relationen und fragwürdigste Disharmonien mit der Bühne. Das Auftritts-Duett von Zerlina und Masetto wirbelt in frechem G-Dur daher, aber nicht ein Einsatz der Singstimmen geschieht zum vorgesehenen Zeitpunkt. Zu früh, zu spät, einerlei, am Ende findet man den gemeinsamen Schlusston. Für die Staatsoper wohl nicht die kühnste künstlerische Vorgabe.

Dabei ist Sophie Koch ein wirklich zauberhaftes Bauernmädchen, das nicht, was die Figur betrifft, aber in Sachen Stimmkultur den Gegenpol zu Netrebko formuliert: Da singt eine junge Frau in größter Harmonie mit ihren darstellerischen Qualitäten, kokett, ein bisschen herbfrisch, jedenfalls vielschichtiger, als der erste Anblick glauben macht. Sie stiftet dem Verlobten wie den übrigen männlichen Handlungsträgern Seelennöte und Verwirrung - und man sieht nicht nur, man hört auch, warum.

Dem kann In Sung-Sim als Masetto nur schauspielerisch wirklich Paroli bieten. Und auch Michael Volle, der Titelheld, ist dermaßen subtilen Künsten nicht gewachsen. Er versucht sich als souveräner Herr in allen Lebenslagen, rutscht mit seinem Understatement aber auch optisch des öfteren in jene Regionen des bloß gut Gemeinten, in denen sein Gesang von Anfang an angesiedelt scheint. Die realen wie die das Stück voran treibenden gedanklichen Zweikämpfe mit dem Komtur dürfen an diesem Abend bestenfalls deshalb als zwingend gelten, weil auch dieser mit Mikhail Akhazov reichlich unterbesetzt ist und schwächlich tönt.

Erfreulich ist - neben dem quicklebendigen Leporello von Ildebrando d'Arcangelo - vielleicht, dass sich das Wiener Opernpublikum nicht ins Bockshorn jagen lässt. Da mag man groß ankündigen, was man will: Einem solchen "Don Giovanni" wird am Ring nur mittlere Applausstärke zuteil.

↑DA CAPO

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