Angelika Kirchschlagers Debüt

über ihren ersten Rosenkavalier

Graz, 2. März 1993

Ein neuer Stern geht auf

Graz hat einen neuen Rosenkavalier. In gewissem Sinne stimmt dieser Satz vollinhaltlich. Denn mit Angelika Kirchschlager ist die schönste junge Stimme Österreichs für den Octavian aufgeboten. Die Salzburgerin singt und spielt den "jungen Herrn aus großem Hause" perfekt.

Gewiß kann man bei Angelika Kirchschlagers Octavian den einen oder anderen Ton in extremen Registern ausmachen, an dessen Geradheit die junge Künstlerin noch feilen wird müssen, insgesamt aber gibt sie darstellerisch und musikalisch das Idealbild eines Rosenkavaliers. Sie differenziert stimmlich ebenso feinfühlig auf den Hofmannsthalschen Text konzentriert wie sie gestisch alle Peinlichkeiten, die eine Hosenrolle mit sich bringen kann, geradezu virtuos umgeht.

Der Rest der Grazer Besetzung hat es schwer, mit diesem neuen Stern mitzuhalten. Dafür sorgen nicht nur musikalische Probleme, sondern auch die Vorstellungen des Regisseurs Michael Wallner, der sich offenbar vorgenommen hat, die lustigsten dramaturgischen Mechanismen des Librettos auch dem dümmsten Opernbesucher drastisch verständlich zu machen. So spielt der zweite Akt in László Varvasovszkys Bühnenbild von purem Gold (aha: neureich!), der dritte im Theater mit etlichen Statisten, Beleuchtern, Inspizienten (dem Baron Ochs wird ja schließlich eine Komödie vorgespielt).

Daß man mit solcherlei Holzhammer-Assoziationen in gefährlichen Konflikt mit etlichen Wahrheiten und dramaturgischen Notwendigkeiten gerät, die in Hofmannsthals Text auch nachzulesen sind, stört den Regisseur offenbar wenig. Er hält sich an den Satz der Marschallin, die im letzen Akt verkündet, das Ganze sei halt "eine wienerische Maskerad' und weiter nichts".

So genau hat sie das gar nicht gemeint, nur: Michael Wallner weiß das nicht. So schwankt seine Inszenierung zwischen hübsch herausgearbeiteten, glaubhaften zwischenmenschlichen Dialogen und krassem Slapstick-Blödsinn, der jegliche Tuchfühlung mit dem, was der Dichter meint, vermeidet. (Der Unglaubwürdigkeiten ist auf diese Weise kein Ende: Octavian besiegt beispielsweise asterixgleich mühelos einen "Schock baumlanger Lackeln", kann sich aber dann nicht aus den Armen des Intriganten-Krispindels Valzacchi befreien.)

Vergleichbar inkonsistent wirkt auch die musikalische Grundlage dieser Aufführung, für die Mario Venzago im Orchestergraben verantwortlich ist. Auch bei ihm läßt sich manch gefühlvoll gezeichnetes Detail ausmachen - etwa die silbrig schimmernden Klänge bei der Rosenüberreichung. Insgesamt aber ist dieser Rosenkavalier gezeichnet von etlichen schrägen Klängen und kommt bisweilen zäh nicht vom Fleck.

Von den Sängern kann am ehesten Silvana Dussmann als Sophie mit Angelika Kirchschlagers Leistung mithalten. Sie singt ihre Partie untadelig und begeistert durch ideale Wortdeutlichkeit. Letztere geht dem an sich schön singenden Baron Ochs von Peter Wimberger vollständig ab. Er nuschelt sich drei Akte lang durch die Partie, wofür er zuletzt auch Buhrufe erntet.

Vollends problematisch bleibt Maureen Browne als Marschallin. Sie gibt stimmlich wie darstellerisch viel eher den Racheengel als die duldende Grande Dame. Bis zuletzt ist man sich angesichts dieser Sängerin nicht sicher, im richtigen Strauss-Stück zu sitzen und wartet angsterfüllt darauf, ob zuletzt nicht doch aus Versehen noch ein Muttermord passiert.

Das Grazer Ensemble hält sich rundum ordentlich; auffällig die kraftvoll timbrierte Annina von Ildiko Szönyi, luxuriös der Faninal von Georg Tichy.

Graz hat also einen Rosenkavalier. Irgendwie.
Das Publikum tobte vor Begeisterung.


↑DA CAPO