Thomas Hampson

Der Bariton im Gespräch über seinen Lieblingskomponisten, Gustav Mahler

4. September 2010

Wenn sich die Welt in Klang verwandelt

Der amerikanische Baßbariton ist ein großer Kenner von Gustav Mahlers Klangwelten.

»Es gibt noch viele Missverständnisse um Gustav Mahler«, meint Thomas Hampson. Der weltweit vielleicht gesuchteste Interpret des Wiener Fin-de-Siècle-Meisters beschäftigt sich mit der Mahler' schen Klang-Traum-Welt seit seinen frühen Interpretentagen, als ihn ein Mahler-Kenner vom Format Leonard Bernsteins heranzog, um seine legendären Wiedergaben medial festzuhalten.

Die Beschäftigung mit Mahlers Liedschaffen hat seither für den amerikanischen Baßbariton nie aufgehört. Sie hat zu ganz innigen Einsichten geführt, die Hampson nun seinen Hörern weitergeben möchte.

Drei Schicksalsschläge

"Ich glaube nämlich", sagt er, "dass man aus den Liedern sehr viel über die Person Gustav Mahler lernen kann." Der höchst virile Thomas Hampson hat den durchaus seelenverwandten Meister entdeckt: "Der Mann wollte doch nicht sterben! Er war ein Vollblutmann, wie er ein Vollblutkünstler, ein Vollblutvater war...

Tatsache ist: Seine Krankheit hat ihn aus der vollen Blüte seines Lebens gerissen. Es ist absoluter Nonsens, was heute gern suggeriert wird, dass aus Mahlers Musik herauszuhören wäre, er hätte jahrezehntelang an Todessehnsucht gelitten." Ganz im Gegenteil, meint Hampson, sei Mahler gegen Ende seines kurzen Lebens von Schicksalsschlägen getroffen worden, die sein Seelenleben gehörig durcheinandergebracht und ihn in seiner Persönlichkeit vielleicht gebrochen haben.

»Drei Schicksalsschläge haben ihn getroffen, der Tod seiner Tochter, die katastrophale Ehe mit Alma. Das weiß man. Aber noch viel härter hat diesen Mann wohl der dritte Schlag getroffen: als der Arzt ihm erklärte, wie krank er war. Dass es von einem Tag auf den anderen aus war mit Sport, mit allen Aufregungen. Stellen Sie sich das doch einmal vor - da sagt man einem Mann in den besten Jahren: Sie dürfen schon ihre Symphonien komponieren, aber keine großen Anstrengungen, keine Aufregungen mehr. Viele Leute wissen nicht, wie aktiv Mahler zuvor war. Tag für Tag: frühmorgens aus den Federn, ausgiebig schwimmen im Attersee - dann gab' s Kaffee, und danach hat er sich in sein Komponierhäuschen zurückgezogen, um in der Stille zu arbeiten.«

Und dort war es beileibe nicht die viel zitierte Morbidezza, die ihn inspirierte.

Hampson: »Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich Mahlers Musik studiere, dass sich ihm alles, was er sah, in Klang verwandelt hat. Sei es ein Seelenzustand, sei es eine Landschaft. Es ist kein Zufall, dass er zum jungen Bruno Walter, der ihn in der Sommerfrische besucht hat und die schöne Aussicht auf die Berge bewunderte, entgegnet hat: ,Sie brauchen gar nicht hinzuschauen, alles schon wegkomponiert!'«

Mit derselben Besessenheit hat Mahler menschliche Gefühle und Seelenregungen in Musik umgesetzt. Thomas Hampson erinnert sich: "Schon Leonard Bernstein hat immer gesagt: ,Es stimmt nicht, dass der große Operndirektor Mahler keine Oper komponiert hat. Er hat in Wahrheit neun Opern komponiert, seine Symphonien!'"

Oder neuneinhalb, zehn vielleicht, rechnet man das Lied von der Erde hinzu, den gewaltigsten der Liederzyklen aus Mahlers Feder, als einziger tatsächlich schon im Bewusstsein des nahen Todes konzipiert.

»Worte klingen, Töne sprechen«

»Ich staune immer«, sagt Thomas Hampson, indem er weiter zurückblickt in der Komponistenbiografie, »wie reif Mahler schon in seinen Jugendliedern ist. Reif als Analytiker der menschlichen Seele! Im Gegenzug findet er in seinen späten Liedern zu einer Schlichtheit, die nicht minder erstaunt. Inhaltlich finden wir in sämtlichen Liedern eine hoch entwickelte, raffinierte Beobachtungsgabe. Mahler sah sehr klar, analysierte die Instinkte, die Impulse von Menschen. Er war überdies enorm belesen und hat seine Texte sorgfältig ausgesucht. Das sind niemals Gedichte, die ihn zufällig zu netten Melodien inspiriert haben! Und wenn man ihm von Zeit zu Zeit unterstellt hat, er hätte keinen Respekt vor den Dichterworten gehabt, weil er hie und da ein wenig umgedichtet hat, dann greift das zu kurz. Bedenken wir etwa, dass es sich bei ,Des Knaben Wunderhorn' schon im Original um Kunstprodukte handelt. Es heißt zwar, all diese Texte fußen auf Volksliedern und Überlieferungen. Aber was da steht, ist bereits redigiert, da haben sich die Herausgeber schon etwas überlegt. Ein Komponist, der einen Text umschreibt, tut in Wahrheit dasselbe. Jedenfalls ist bei Mahler kein Wort, kein Ton beiläufig. Alles ist Metapher für den psychologischen Zustand, den der Komponist meint. Wie hat der große Dietrich Fischer-Dieskau so schön gesagt: ,Wörter klingen, Töne sprechen.' Das ist für mich die Welt von Gustav Mahler.«


nach längerer Zeit wieder in Wien: Thomas hampson widmet sich bei seinen auftritten im musikverein dem Werk Gustav mahlers.






 

↑ DA CAPO