18. November 2021
Edita Gruberova
Sie war ein Stimmphänomen, wie es in der jüngeren Opern-Vergangenheit kaum ein zweites gegeben hat: Ihre Koloraturgewandtheit war legendär und leitete eine Renaissance des Belcanto-Repertoires im internationalen Opernbetrieb ein. Für Edita Gruberova setzten Intendanten weltweit immer wieder Donizetti- und Bellini-Opern auf die Programme. Ihrer einzigartigen, perfekten Gesangstechnik verdankte die Slowakin eine extrem lange Karriere. Jahrzehntelang konnte sie sich an der Weltspitze halten.
Begonnen hatte die singuläre Laufbahn der Künstlerin in Wien, wo sie nach ihrer Ausbildung im heimatlichen Pressburg im Ensemble engagiert war und rasch auch große Rollen im Koloraturfach übernahm. Wiener Kenner wussten bereits Mitte der Siebzigerjahre, wer „die Gruberova“ war. Den internationalen Durchbruch schaffte sie mit der Gestaltung der aberwitzig schwierigen Koloraturpartie der Zerbinetta in Richard Strauss' „Ariadne auf Naxos“ anlässlich der von Karl Böhm dirigierten Premiere der Neuinszenierung des Werks durch Filippo Sanjust im Jahr 1976.
Schon eine Saison später änderte Staatsoperndirektor Egon Seefehlner der Gruberova zuliebe den Spielplan und setzte eigens für die Sängerin eine Neuinszenierung der zuvor jahrzehntelang nicht gespielten „Lucia di Lammermoor“ aufs Programm.
Späte „Norma"
Es folgte eine Serie von Belcanto-Premieren, die ausschließlich auf diese Künstlerin zugeschnitten waren und die ihre unvergleichlichen stimmartistischen Möglichkeiten zum Glänzen brachten. So kamen Wiener Musikfreunde in den Genuss von Neuinszenierungen von Werken wie „Roberto Devereux“ oder „I Puritani“, „Lucrezia Borgia“ oder „Linda di Chamounix“. Erst spät in ihrer Karriere aber gab es Bellinis „Norma“, die 2005 konzertant für die Gruberova ins Programm genommen wurde.
Doch die Kunst Edita Gruberovas war vielseitiger. Auf das Belcanto-Repertoire war sie nicht zu „reduzieren“. Zwar ermöglichte ihr die Natur, bis zuletzt sicher und mühelos über die höchsten Regionen des Koloratur-Registers zu gebieten - die Zerbinetta sang sie zwischen 1973 und 2009 fast 90 Mal - doch liebte sie auch Partien, die nach lyrischen Qualitäten verlangten. Verdis Violetta ("La Traviata") war eine ihrer Paraderollen.
In frühen Jahren freuten sich Opernfreunde über ihre quirligen Auftritte als Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“. Das waren Zeiten, in denen niemand darüber nachdachte, dass diese Partie ursprünglich für einen Mezzo komponiert war. Man jubelte über die brillanten Koloraturfeuerwerke, die die junge Gruberova abbrannte, um zuletzt mit ihrem Spitzenton auf offenbar endlosem Atem über die Wendeltreppe herunter bis vor den Souffleurkasten zu wandern, wo der tosende Applaus des Publikums die Vorstellung regelmäßig für Minuten unterbrach.
Unwiderstehliche Koketterie
Minutenlange Ovationen gab es auch stets für die Zerbinetta-Arie in den vielen „Ariadne"-Vorstellungen mit der Gruberova. Selbst geeichte Kenner des Opern-Business konnten sich nicht erinnern, eine dermaßen perfekt abgezirkelte vokale Leistung in dieser Grenzpartie jemals gehört zu haben. Freilich: Das war nicht alles. Anlässlich der „Ariadne"-Premiere bestaunte man schon im „Vorspiel“, wie diese eloquent-freche Zirze mit kokettem Augenaufschlag und entsprechend weich modellierten melodischen Phrasen dem „Komponisten“ der Agnes Baltsa den Kopf verdrehte. Auch das war die Gruberova: Sie bedurfte keiner artistischen Vokal-Drahtseilakte, um musiktheatralischen Effekt zu machen.
Spätestens mit der Übernahme großer Mozart-Primadonnenrollen wurde das offenbar: Die Konstanze in der „Entführung aus dem Serail“, die Donna Anna in „Don Giovanni“ forderten von der Sängerin Qualitäten, die mit vordergründiger Koloratur-Brillanz nur sehr am Rande zu tun hatten. Das war die Vorbereitung für Donizettis Königinnen-Rollen und vor allem für die vielschichtigen, nur durch vokale Differenzierungskunst ganz zu erfassenden Seelen-Porträts der Bellini-Heldinnen.
Stimmbeherrschung war da nicht mehr die Hauptsache - aber die notwendige Voraussetzung. Die brachte Edita Gruberova wie keine Zweite mit. So hat sie denn eine Laufbahn absolviert, wie sie wohl keiner anderen Sopranistin je vergönnt war. Noch 2019 stand Edita Gruberova - an der Bayerischen Staatsoper - in „Roberto Devereux“auf der Bühne. Von ihren Wiener Verehrern hatte sie sich in einem Galakonzert an der Staatsoper im Jahr davor verabschiedet. Ihr offizielles Abschiedskonzert aber, das für Oktober 2020 in Florenz geplant war, musste die Künstlerin absagen.
Am Montag ist Edita Gruberova 74-jährig in ihrer Wahlheimatstadt Zürich gestorben.