Oleg Maisenberg

Beethoven im Geburtstags-Zyklus zum 50er
→ und drei Jahre danach


9. März 1994
Singulär ist die Konzertserie jedenfalls: Wann hat schon ein Pianist Gelegenheit, seinen 50. Geburtstag mit einem eigenen Abonnementzyklus zu feiern. Oleg Maisenberg tut's im Konzerthaus.

Mit Beethoven begann es am Samstag abend, einem Meister, der - anders als Schubert, Schumann oder russische Komponisten wie Skrjabin oder Rachmaninow - nicht zu den Herzensangelegenheiten Maisenbergs zählt. Und doch: Wenn der Wahlwiener aus Odessa an den Flügel geht, ist Hochspannung garantiert, konzentrierte, oft ungewöhnliche Auseinandersetzung mit längst »ausgehört« Geglaubtem. Wiewohl gesundheitlich angeschlagen - was ihn zwang, den Abend vorzeitig abzubrechen - bestach Maisenberg auch in dieser ersten Etappe seines Recital-Marathons.

Zwei frühe Sonaten (die Nummern zwei und drei) sollten den Opera 109 und 110 gegenüberstehen. Die As-Dur-Sonate entfiel. Die in E-Dur geriet zum faszinierenden formalen Balanceakt: Schwebend unwirklich, improvisatorisch der Stirnsatz, irdisch-kraftvoll das Scherzo, erdentrückt zart, aber in einem atemberaubenden Bogen gewölbt das abschließende Andante. Maisenbergs längst legendäre Anschlagkultur garantierte cantabile und espressivo, wie Beethoven sie fordert.

Erstaunliche Ausdrucksqualitäten, jenseits aller glatten Klassizität herrschten schon in den beiden Frühwerken, wo Maisenberg die Empfindsamkeit, zuweilen auch den Zorn des genialen Improvisators Beethoven fühlbar werden ließ. Manch falscher Ton ging wohl auf das Konto der Unpäßlichkeit, fiel angesichts der stringenten Entwicklungen, der »direkten Rede« seines Spiels aber kaum ins Gewicht.

Allein das weltabgewandte, jeglichen Zeitbegriff aufhebende (von den Hörern tatsächlich atemlos verfolgte) Largo aus Opus 2/2 würde als Demonstrationsobjekt heutzutage unvergleichlicher, weil schonungslos subjektiver Interpetationskunst genügen. Fazit: Das Wagnis »Maisenberg total« hat, allen gesundheitlichen Unbilden zum Trotz, adäquat begonnen.

Noch ein Versuch über die
magischen Klavierkünste
Oleg Maisenbergs


Jänner 1997
Mit Beethoven, erklärtermaßen nicht sein Lieblingskomponist, eröffnete Oleg Maisenberg seinen Soloabend im Großen Konzerthaussaal: Statt der angekündigten Sonate op. 110 erklang das »Andante favori«, einst liebstes Objekt romantischer Pianisten zur Darstellung subtiler Schattierungskünste jenseits des Impressionismus. Maisenberg läßt diese Tradition wieder aufleben, taucht das simple Stücklein geradezu in einen Farbrausch, findet für jede kleine Melodie neue Valeurs. Der Klavierklang schillert und leuchtet in sanften Pastelltönen.

Das ist das Gegenteil von dem, was die Schulweisheit sich heutzutage von Klassiker-Interpretation träumen läßt.

»Opus 111«

Die folgende Sonate op. 111 machte deutlich, warum das dennoch Geltung hat: Maisenberg nimmt Beethovens Erkundungstour in die Extremregionen des Klaviers und des Klavierspiels ernst, sprengt, wo der Komponist die satztechnischen Konventionen hinter sich läßt, die Hörgewohnheiten, setzt Thesen und Antithesen so schroff und unvermittelt nebeneinander, wie die Noten das suggerieren, bindet nicht, was auch unverbunden nebeneinander stehen kann. Es ist geniales Spiel, was der Gigant Beethoven da treibt, ganz im Sinne Einsteins, der da meinte, die Relativitätstheorie sei ein Kinderspiel im Vergleich zu einem Kinderspiel .  .  .

So verliert sich der Hörer in den phantastischen Variationen über die simple »Arietta« des Finalsatzes mit dem Pianisten plötzlich in schwirrenden, klingelnden Traumwelten, dann gleich wieder im Furor scheinbar wildgewordener, sich selbständig machender Zweiunddreißigstel-Kaskaden, und weiß nicht recht, wie ihm geschieht. Hatten da, rückwirkend betrachtet, nicht auch die klanglichen Ausschweifungen des schlichten »Andante favori« ihre Berechtigung? Beethoven, der große Rätselmann.

Chopin-Exegese

Mit Chopin betrat Maisenberg nach der Pause jenes Terrain, in dem er sich so sicher und selbstverständlich bewegt, als bedürfte es für ihn nicht der geringsten intellektuellen Mühewaltung, als ergäben sich alle subtilen Übergänge, akribisch gegeneinander abgewogenen Schattierungen von selber: eine solche »Berceuse«, eine solche »Barcarolle« vor allem, spielt nicht bald ein Pianist: jede kleinste Tongirlande ist erfüllt von ihrer Notwendigkeit für das große, unglaublich schöne Ganze, das sich selbstgewiß verströmt, ob im großen Formenspiel oder in der Miniatur der »Mazurken op. 67«, die jede für sich zu kleinen Dramen wurden.

Liszt-Dramen

Großes Drama dann bei Liszt: die Trauermarsch-Emanationen der „Funérailles” und die wilde, in jeder Hinsicht entfesselte wilde Jagd „Mazeppas” – da siegt die Wahrhaftigkeit des Ausdrucksstrebens über die Schwerkraft. Ganz abgesehen von den sonstigen technischen Zaubereien, die Maisenberg aus dem Steinway hext: So schnell kann man doch Oktaven eigentlich nicht spielen?

↑DA CAPO