Fidelio, Salzburg 1996

Georg Solti und Herbert Wernicke


Fidelio bei den Salzburger Festspielen: ein Wechselbad. Sir Georg Solti dirigiert markig, dann wieder voll mild-väterlicher Übersicht; Herbert Wernicke zaubert Designerästhetik der achtziger Jahre auf die Bühne, verweigert sich aber der Dramaturgie von Beethovens Oper.

Herbert Wernicke ist jener Regisseur, der im "neuen Salzburg" am heftigsten diskutiert wurde; vor allem nach dem vorjährigen "Rosenkavalier". Um das Publikum bei "Fidelio", einem Herzstück des Festspielrepertoires, aus der Reserve zu locken, war seine Inszenierung jedoch zu unspektakulär. Aufregend geriet Wernicke nur das Bühnenbild.

Und zwar aufregend für die Sänger, die aufpassen müssen, daß sie auf der arg schiefen Ebene nicht das Gleichgewicht verlieren oder schwere Gegenstände den Abhang hinunter, direkt auf die Köpfe der Philharmoniker kollern lassen.

Das ist sozusagen die "Kür" für das Sängerteam, das sich mit wenigen Ausnahmen seiner "Pflicht", Beethovens Noten, mit bemerkenswerter Bravour entledigt. Cheryl Studers Leonore: Nach wie vor laboriert diese Künstlerin an technischen Unzulänglichkeiten, die ihr die Tonhöhen zuweilen arg verrutschen lassen. Dann aber gibt sie berückend wohltönende, zu Herzen gehende Phrasen von sich, die derlei Irritationen gleich vergessen machen.

Hier singt ein Mensch und will uns Beethovens humane Botschaft akustisch glaubwürdig machen.

Ben Heppners als Florestan hat auch im überbordenden Finaljubel keine Mühe mit den leicht und beweglich zu servierenden Spitzentönen.

Mag sein, es wünscht sich mancher Musikfreund differenzierteren Gesang auch in der großen Arie. Heppner entledigt sich ihrer monochrom, aber mit bravouröser Sicherheit. Sensationell im Sängerverband: Rene Papes wohltönender, fein charakterisierender Rocco und die schieren Wohllaut verströmende Marzelline der Ruth Ziesak.

Ihnen gesellt sich Roberto Saccas Jacquino getreulich zu, während Tom Fox als Pizarro ein blasser, jedenfalls keinen Zoll dämonisch oder bösartig oder wenigstens irgendwie wirkender Zeitgenosse ist.

Stark verkürzte Dialoge

Die Philharmoniker, anfangs ein wenig strauchelnd, fanden unter Georg Soltis Leitung bald zur gewohnten Form und trugen die Handlung souverän.

Das war's vielleicht, was Regisseur Wernicke erwartet hatte.

Wenn die Musik alles richtig erzählt, mag er sich gedacht haben, muß die Bühne das nicht verdoppeln.

Also gibt sie - bei stark verkürzten Dialogen - kleine Hinweise, deutet eine Szene einmal nur an, verweigert sich realistischer Detailarbeit, indem manches zur Karikatur verzerrt wird (der zitternde Rocco im Duett mit Pizarro, der nicht fröhlich hin und wider wandelnde, sondern plötzlich an der "Klagemauer" zusammenbrechende Gefangenenchor), manch anderes einfach unterbleibt - oder sich allegorisch verwandelt: Die gesamte Inszenierung spielt in einem attraktiven, wie vom italienischen Stardesigner entworfenen Würfelhaus. Ein etwa zehn Meter langer Tisch und einige Notenpulte genügen als Mobiliar.

Zucht und Befreiung

Während Leonorens großer Arie verschwindet auch das. Die Farben Schwarz und Weiß beherrschen die Szene. Erst im Finale, Symbol der Befreiung, legen alle die Uniformen ab und erscheinen in bunten Straßengewändern. Wernicke stellt sie oratorisch auf und verzichtet darauf, den Schluß theatralisch darzustellen.

Sir Georg Solti peitscht den phänomenal studierten, kraftvoll tönenden Staatsopernchor durchs rasante Finale: Die warmen Töne, die der Minister Peter Mattei zu finden sucht, werden erbarmungslos niedergeschmettert. So verkehrt sich das Spiel: Die Szene winkt bunt und "befreit", aber alle Bewegung ist zur oratorischen Strenge erstarrt und die Musik kündet von martialischer Zucht.

So haben uns Solti und Wernicke Rätsel aufgegeben, die von den Premierengästen mit dankbarem Applaus quittiert wurden: Er hat nicht geschmerzt, dieser "Fidelio".

Nur den Ersten und den Zweiten Gefangenen, die, wie alle Darsteller, im schwarzen Anzug erschienen und zuvor auffallend gut gesungen hatten, trafen Buhrufe.

Hat man dank der uniformen Kostüme jemanden nicht erkannt?

↑DA CAPO

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