Genadij Roschdestwenskij

1931 - 2018

Gennadi Roschdestwenski war der geborene Kapellmeister: spontan, dabei unmißverständlich.

Seine Auftritte mit den Symphonikern bleiben dem Wiener Publikum unvergessen. Man erinnert sich an große Momente.

Die Stille des beschaulichen Teils im Finale von Gustav Mahlers Erster Symphonie durchschnitten zwei Windstöße: Der lange Taktstock, mit dem Gennadij Roschdestwenskij messerscharf ausholte, gab das Signal zum ebenso messerscharfen Streichereinsatz: Auftakt zu einer unvergleichlich stürmischen orchestralen Attacke. Jeder Musiker, der unter der Leitung des großen russischen Maestro gespielt hat, wird sich dieses Auftakts erinnern. Roschdestwenskij war ja kein Mann der großen Gesten, im Gegenteil, sein Dirigierstil war von knappster Präzision – jeglicher Pultvirtuosenshow war er abhold, verbarg sich auf dem Podium am liebsten hinter einem eigenwilligen Holzverschlag. Einen eindringlichen künstlerischen Dialog pflegte er nach vorn mit den Musikern, nicht nach hinten ins Auditorium.

Doch bestimmte akustische Effekte erzielte er mit der unmissverständlichen Befehlsgewalt des geborenen Kapellmeisters. Dass man nicht viel probieren musste, um solch klare Anweisungen entsprechend umgesetzt zu bekommen, wusste er auch. Seit dem legendären Hans Knappertsbusch hat wohl kaum ein Dirigent sich den aufwendigen Vorarbeiten, die im Konzertleben üblich sind, entzogen – mit dem Verweis auf die allabendlich nötige Spontaneität; und das Können: sein eigenes, und das seiner Orchester, zu denen eine Zeitlang auch die Wiener Symphoniker gehörten, die mit ihm in seiner ebenso kurzen wie stürmischen Chef-Periode manch einprägsames Konzertprogramm absolvierten.

Exzentrische künstlerische Visionen

Publikum wie Musiker haben seine Auftritte nicht vergessen, nicht zuletzt, wenn sie weniger häufig gespieltem Repertoire – etwa einem fulminanten Zweiten Prokofieff-Klavierkonzert mit seiner Ehefrau, der Pianistin Viktoria Postnikowa, galten. Doch schien Roschdestwenskijs Arbeitsstil für eine gedeihliche Aufbauarbeit dann doch zu freizügig.

1931 wurde der Moskauer in einen Musikerhaushalt hineingeboren. Der Vater Dirigent, die Mutter Sängerin, erfuhr Gennadij Nikolajewitsch zunächst eine grundlegende pianistische Ausbildung am Konservatorium seiner Heimatstadt. Dirigieren studierte er, indem er seinen Vater bei der Arbeit beobachtete, um 1951 mit Tschaikowskys „Nussknacker“ als Ballett-Kapellmeister zu debütieren. Bald galt er als exzellenter Schlagtechniker, man vertraute ihm das Moskauer Rundfunkorchester an, mit dem er etliche russische Erstaufführungen wichtiger jüngerer „westlicher“ Werke herausbrachte. Am Bolschoitheater, das er 2000 übernahm, hielt es ihn noch kürzer als in Wien: Nur eine Spielzeit genügte, um die Diskrepanz zwischen den Wünschen der Kulturpolitik und seinen hie und da exzentrischen künstlerischen Visionen zu offenbaren.

So blieb Roschdestwenskij über viele Jahre ein allseits umjubelter Gastdirigent in Europa wie in Fernost. Am 16. Juni 2018 ist der Dirigent in Moskau gestorben.

↑DA CAPO