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James Levine

1943 - 2021

Das Musizieren fiel ihm so leicht - doch zuletzt verdunkelten Mißbrauchsvorwürfe James Levines Erbe an der New Yorker Met. Er hatte das Haus über 40 Jahre lang geprägt.

Das Ende war jammervoll. Die Todesnachricht erreichte die Öffentlichkeit mit knapp einwöchiger Verspätung: Am 9. März 2021 ist James Levine gestorben, einer der berühmtesten Dirigenten der Welt, der doch zuletzt aus unrühmlichem Anlass in die Schlagzeilen gekommen war. Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte dieser Künstler das Antlitz der New Yorker Metropolitan Opera geprägt. Doch 2018 trennte sich das Management von Levine, nachdem sich im Zuge einer Untersuchung die schweren Vorwürfe erhärtet hatten, die gegen ihn erhoben worden waren.

Die Meldungen über die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs und der Nötigung werden nun wieder ausgiebig zitiert werden, obwohl sich die Met und Levines Anwälte zuletzt geeinigt hatten und nach einer Abfertigungszahlung Stillschweigen herrschte.

Stillschweigen bewahrte man – nicht nur in New York – seither über den Künstler Levine, dem gerade die Metropolitan Opera so viel zu verdanken hatte. Nun ist James Levine tot. Er erlag einer Krankheit, die ihn seit langem gequält hat: Bereits nach der Jahrtausendwende war er spürbar durch Parkinson beeinträchtigt. Die Met baute für ihn sogar einen aufwendigen Kranmechanismus, die ihn bei seinem Comeback quasi aus der Versenkung an seinen Platz am Dirigentenpult befördern konnte. So leitete der Dirigent seine letzten Vorstellungen – umjubelt wie stets.

James Levine war künstlerisch sein Lebtag erfolgsverwöhnt. Seit seinen Studentenjahren war er von allerersten Köpfen betreut worden. Zunächst galt er als virtuoser Pianist. Er war gerade einmal zehn Jahre als, als er in Cincinnati die rasenden Kaskaden eines Mendelssohn-Klavierkonzerts bewältigte. Und es war niemand Geringerer als Rudolf Serkin, der dem Teenager dann Klavierunterricht gab und ihn in die tiefgründigen Regionen des Musizierens einweihte.

Walter Levin, der legendäre Primgeiger des Lasalle Quartetts, vertraut mit den Finessen der Avantgarde, war Levines Theorielehrer. Und George Szell, weiß Gott nicht leicht zu überzeugen, holte den begabten jungen Mann als Dirigier-Assistenten nach Cleveland. Der Ruhm des so offenkundig talentierten amerikanischen Maestros wuchs nicht nur in den USA rasch. Spätestens als er die Nachfolge Rafael Kubeliks an der Met antrat, war auch Europa auf ihn aufmerksam geworden.

Salzburger Festspiele

Levine dirigierte bald die bedeutendsten Orchester der Welt. Für die Wiener Philharmoniker wurde er eine Zeitlang zum wichtigsten Dirigenten auch im Schallplattenstudio, woran zuletzt die erstaunliche Menge an Levine-Aufnahmen erinnerte, die in der jüngsten Jubiläums-CD-Box des Orchesters enthalten waren. Immerhin: Dieser Mann war der Auserwählte, mit dem das Orchester das erste und einzige Mal in seiner Geschichte sämtliche Symphonien Mozarts aufgenommen hat.

Apropos Mozart. Die Salzburger Festspiele nicht zu vergessen, wo Levine ab Mitte der Siebzigerjahre für mehr als zwei Jahrzehnte jede Saison Opern und Konzerte leitete. Auch davon gibt es Mitschnitte in Fülle – allen voran Dokumente von Jean Pierre Ponnelles legendärer »Zauberflöte« in der Felsenreitschule, die sich zur dauerhaftesten Festspielproduktion aller Zeiten entwickelte. Doch die Spannweite des Repertoires, das Levine mit den Wienern abdeckte, reichte von Offenbachs »Hoffmanns Erzählungen« bis zu Schönbergs »Moses und Aron«.

Bayreuth und der Parsifal

Auch bei den Bayreuther Festspielen war Levine vielbeschäftigt. Er studierte den Ring des Nibelungen ein und betreute über Jahre hin die Aufführungen des Parsifal, wobei man ihm unterstellte, er versuche, den legendären Langsamkeits-Rekord Arturo Toscaninis zu brechen, was ihm allerdings nicht gelang.


Der Pianist

Aufs Klavierspielen hat James Levine nie ganz verzichtet. Bedeutende Sänger schätzten seine Qualitäten und holten ihn als Begleiter für anspruchsvolle Liedprogramme aufs Podium. Er atmete mit ihnen, das wussten die Stars. Und er brachte auch die Orchestermusiker dazu, sich an den Vorgängen auf der Bühne mindestens so genau zu orientieren wie an seinem Schlag. All das fiel ihm leicht, zu leicht vielleicht, als dass er sich auch in komplexe Partituren allzu sehr vertiefen hätte müssen.

Man zieh ihn hie und da der Oberflächlichkeit. Und doch: Wenn Levine dirigierte, war an einem Abend für Spannung garantiert, denn dramatische Steigerungen zu organisieren gelang ihm buchstäblich mit dem kleinen Finger, mochten dabei vielleicht allerhand Details unters Dirigentenpult purzeln, die große Linie stimmte.

New Yorker Prägungen

Was – nicht nur in diesem Sinne – Levines organisatorisches Talent für das New Yorker Opernhaus bedeutet hat, das ihn zuletzt in Unehren entlassen hat, versucht die offizielle Geschichtsschreibung der Metropole jetzt geflissentlich auszublenden. Vergessen wird man es letztlich nie. Allein der Katalog an Liveaufnahmen, die unter Levines Leitung mit den prominentesten Solisten zweier Sängergenerationen entstanden, sorgt dafür.

Allein zwölf Grammys gewann Levine während seiner Laufbahn. Als Partner Anne Sophie Mutters (»Carmen-Fantasie«) konnte er sich mit den Wiener Philharmonikern wochenlang in den »Charts&aquo; halten. Auch mit den »drei Tenören«, die, jeder für sich, oft genug betont haben, wie gern sie gerade mit einem Musiker seines Schlages arbeiteten, holte Levine außerordentliche Plätze in den weltweiten Ranglisten, wodurch auch sein Ruhm jenseits der Klassik-Welt sich mehrte. Dauerhaft, wie man bis vor kurzem noch dachte.




↑ DA CAPO