Erich Leinsdorf

1912 - 1993

Ein Wiener Dirigent, der in die Welt vetrieben wurde.

Ein Zyniker war er, vielleicht, einer, der nie mit Kritik hinter dem Berg gehalten hat. Aber auch einer, der sein Handwerk, das da war: Musik zu machen, so perfekt beherrscht hat wie kaum einer seiner Zunft.

Bemerkungen aus seinem Munde konnten bitterböse sein, trafen den Kritisierten tief, vor allem deshalb, weil er fast immer recht hatte, wenn er bei anderen Fehler, Irrtümer, mangelnde Bildung konstatierte. Er vertrug es nicht, wenn Musiker schlecht vorbereitet waren, er vertrug es nicht, wenn man ihm mit Halbwissen entgegen trat. Weil sein Ethos ihm selbst solche Untugenden verbat.

Erich Leinsdorf war 1912 in Wien zur Welt gekommen und war doch als Musiker alles andere denn ein typischer Bürger dieser Stadt. Schlamperei war ihm fremd. Die Orchester, die er erzogen hat, in Cleveland, in Boston, an der New-Yorker City Opera, galten zu seiner Zeit als Perfektionsinstrumente ersten Ranges. Da war er ganz Schüler Toscaninis.

Vielleicht gelang ihm das, gerade weil er aus seiner Heimat, wo man ihn Ende der dreißiger Jahre nicht mehr duldete, auch das Wissen um jene Facetten der Musik mitgebracht hatte, denen man mit Perfektion eben nicht beikommen kann.

Karriere in den USA

Leinsdorf, von Toscanni auserkoren, im Verein mit Artur Rodzinski das NBC-Orchester aufzubauen, wurde 1943 als jüngster Dirigent in der Geschichte musikalischer Leiter des Cleveland Orchestra und erreichte den Höhepunkt seiner Karriere, als er 1962 von Charles Munch das Boston Symphony Orchestra übernahm, wenn ihm auch die Kritik bald vorwarf, seine Klassiker-Interpretationen seien ein wenig zu uncharmant, allzusehr auf Gradlinigkeit bedacht.

Jedenfalls existieren, zum Glück für die Nachgeborenen, zahlreiche Aufnahmen aus Leinsdorfs amerikanischer Zeit, auf denen seine unverkennbare Mischung aus tiefem, intuitivem Verständnis für das, was Musik aussagen kann, und seinem Streben nach ultimativer Erfüllung dessen, was in der Partitur tatsächlich zu lesen steht, nachzuhören ist.

Manch einem jungen Dirigier-Aspiranten, aber auch vielen Musikfreunden täte ein Abend mit Leinsdorfs Aufnahmen von Mahler-Symphonien oder Strauss-Tondichtungen oder der elementaren Walküre gut: Da relativiert sich beim Hören vieles, was später hochgelobt wurde. Auch sein Einsatz für Mozarts Symphonien - er war der erste, der sich auch der frühen Werke im Studio annahm - wies ihn als ebenso akribischen wie feinfühligen Dirigenten aus.Die in den Fünfzigerjahren großteils noch mono eingespielte Gesamtaufnahme der Mozart-Symphonien für das Label Westminster schrieb Aufnahmegeschichte, wird sie doch dem festlichen Ton der großen, repräsentativen Symphonien gerecht, ist aber durchwegs schlank und transparent - also mit »modernem« Stilempfinden - musiziert.

Manches wird bei einigem guten Willen der Schallplattenindustrie wieder aus den Archiven gehoben werden und nachhörbar bleiben - wie in der Erinnerung des Publikums nachklingt, was Leinsdorf im Konzertsaaal, etwa mit den Wiener Philharmonikern oder in der Oper, an Stürmen entfachte; immer wieder auch mit Stücken, die kaum einer seiner Kollegen auch nur gekannt haben dürfte: Leinsdorf stand am Pult, als die Staatsoper Kreneks Karl V. spät, aber doch erstaufführte, er leitete im Philharmonischen nicht nur Beethoven, sondern auch Symphonien von Franz Schmidt...

Die Kunst Leinsdorfs ist exzellent dokumentiert, nicht nur, weil er als Leiter des Boston Sympony Orchestra viele Schallplattenaufnahmen gemacht hat, darunter einen hörenswerten Beethoven-Zyklus und die Symphonien und Konzerte Sergej Prokofieffs, sondern auch weil er lange an der Metropolitan Opera tätig war. So existieren Mitschnitte von etlichen der Samstag-Rundfunk-Matineen, beginnend mit Wagner-Aufführungen mit Lauritz Melchior aus den Vierzigerjahren (Tannhäuser, Lohengrin, Walküre und Tristan), bis hin zu einem 1961 aufgenommenen kompletten Ring des Nibelungen mit Hans Hopf, Birgit Nilsson, George London und Otto Edelmann - ohne Kürzungen, was damals in den USA noch für Aufsehen sorgte.

DA CAPO