Mstislav Rostropowitsch

Belcantist am Instrument,
Animator am Dirigentenpult

Nachruf, 28. April 2007
Der russische Cellist und Dirigent Mstislav Rostropowitsch ist im Alter von 80 Jahren in Moskau gestorben.

Er war die Callas des Violoncellos.

Weitaus zugänglicher und ein wenig umtriebiger, das freilich.
Doch der Ton, den er seinem Instrument entlockte, der war von jener Schönheit und Eindringlichkeit, wie ihn nur Primadonnen, kaum je aber Instrumentalisten erzielen. Außerdem wirkte seine Leidenschaft fürs Musikmachen ansteckend. Auch wenn er am Dirigentenpult stand, und das war seit vielen Jahren jene Profession, die er am meisten liebte.

Die Orchestermitglieder reagierten auf seine Gesten mit jener unwiderstehlichen Mischung aus Einsatzfreude und Hingabe, die dem Hörer jeweils das Gefühl gab, bei einer Art wonnigem Spiel Zaungast sein zu dürfen.

Deshalb verzieh man Mstislav Rostropowitsch immer wieder, wenn die eine oder andere von ihm dirigierte Konzert- oder Opernaufführung technisch vielleicht nicht ganz auf der Höhe jenes allerhöchsten Perfektionsstandards anlangen wollte, der sein Cellospiel stets auszeichnete.

Wiesen Kommentatoren ihn auf das Mißverhältnis, das da zu konstatieren war, hin, am Anfang der von ihm leidenschaftlich angestrebten Dirigentenkarriere zumal reagierte er mit der schärfsten Waffe, die ihm zu Gebote stand: Er boykottierte die jeweilige Stadt als Cellist.

Für den langjährigen Leiter der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, Albert Moser, war es der große Schmerzpunkt, Rostropowitsch als Solisten nicht mehr engagieren zu können, weil Rostropowitsch, der Dirigent, den Wiener Kritikern nach der leider wirklich mißglückten Festwochenpremiere von Johann Straußens Fledermaus zürnte.

Meister komponierten für den Meister

Doch als er dann endlich wieder auch mit seinem Instrument erschien, bezauberte er sein Publikum, wie er es seit jeher getan hatte, sei es in Richard Strauss' Don Quixote, den er als Instrumentalist verkörperte, als stünde ihm nicht nur ein Konzertpodium, sondern eine ganze Opernbühne samt Kostüm und Maske zur Verfügung, sei es mit den Konzerten von Dvorak (zuletzt noch vor wenigen Wochen im Musikverein) oder Joseph Haydn, vielleicht auch mit einer jener vielen Kompositionen, die ihm die bedeutendsten Meister der Zeit nach 1945 in die Finger diktierten und als Meisterinterpreten dankbar zueigneten.

Ob Dmitri Schostakowitsch oder Serge Prokofieff, ob Benjamin Britten oder Henri Duttilleux: Die führenden Schöpfer neuer Musik sahen in Rostropowitsch einen der wenigen nachschaffenden Künstler, denen es gegeben war, mit musikantischem Geist den Esprit, die Gefühlstiefe ihrer Musik auszuloten und zu vermitteln, als ginge es um Klassiker des Repertoires.

Das war die wichtigste der vielen Stärken dieses Individualisten mit dem großen Herzen und der gewinnenden Art, der selbst angesichts der schlimmsten Repressalien der kommunistischen Sowjet-Diktatur in seiner Sprache zu vermitteln, womöglich gar zu versöhnen wußte.

Aufnahmen

Zu den wichtigsten Editionen, die Rostropowitschs Kunst bewahren gehört jedenfalls die Sammlung früher Aufnahmen, die Melodia (via EMI) unter dem Titel »The Russian Years« veröffentlicht hat, darunter wichtige Ersteinspielungen wie etwa Schostakowitschs Zweites Cellokonzert, Prokofieffs Konzertante Symphonieund etliche Stücke zeitgenössischer russischer Meister.

Singulär Rostropowitschs prachtvolle Darstellungen der beiden vielleicht bedeutendsten Cellokonzerte des XX. Jahrhunderts, westlicher Provenienz: des Konzerts von Lutoslawksi und Dutilleux' Tout un monde lointain.


Die Bach-Aufnahmen von Rostropowitsch waren nach denen von Pablo Casals gewiß die, die im XX. Jahrhundert am meisten Aufsehen gemacht haben - der einzigartig leidenschaftliche Zugang des Cellisten zu dieser Musik macht das Album zu einem Muß für Sammler.

Ein Schallplatten-Klassiker wurde sozusagen naturgmäß die Aufnahme des Dvořák-Cellokonzert mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan (DG), gekoppelt mit einer poetischen Darstellung von Tschaikowskys Rokoko-Variationen.

Mit Karajan und den Kollegen Swjatowlaw Richter und David Oistrach ging Rostropowitsch dann auch noch für Beethovens Tripelkonzert ins Studio, eine Aufnahmen, die unter den Solisten selbst nicht in höchstem Ansehen stand, aber dennoch hörenswert ist - die Musiker mochte eher den → Video-Mitschnitt einer zur selben Zeit live in Moskau stattgefundnen Aufführung unter Kirill Kondraschin.

Apropos Beethoven: Die Aufnahme der Cellosonaten mit Swjatoslaw Richter war vom ersten Moment an ein Selbstläufer im internationalen Schallplatten- und CD-Geschäft (Philips).
Daß von dieser Einspielung auch → ein Videodokument existiert, erfuhr die Musikwelt bald. Es steht ebenfalls auf Platz 1 der Verkaufsliste für diesen Sonatenzyklus (EMI/Warner).

↑DA CAPO