DALIBOR

Smetanas böhmischer "Fidelio"

Alle paar Jahrzehnte versucht man es in Wien mit Smetanas heroischer Oper. Anläßlich der Premiere im Theater an der Wien im Jahr lernte Wien einen bedeutenden Dirigenten am Beginn einer großen Karriere kennen: Kirill Petrenko dirigierte das RSO Wien.

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass Leonie Rysanek mit gewaltiger Expansion ihre Anklage-Rufe gegen Dalibor erhob: Das war die letzte Begegnung mit Friedrich Smetanas Heroen-Oper. In der Wiener Staatsoper bot man damals neben der Diva auch noch Eberhard Waechter und Dirigenten Josef Krips auf, um ein vielleicht unterschätztes Werk zu neuem Leben zu erwecken.

Dieses währte nur kurz. Und heute gibt es, zumindest wenn man dem Wiener Klangbogen-Festival trauen möchte, nur noch einen Dirigenten, der imstande ist, Smetana wirklich gerecht zu werden.
Wenn der junge russische Maestro Kirill Petrenko am Pult des RSO Wien waltet, dann entfalten die Musiker eine Spielleidenschaft, ein Feuer und eine Lust am klanglichen Farbenspiel, die uns sämtliche martialischen Einzugs-und Umzugsmärsche dieser Partitur ebenso begeistert lauschen lässt wie den, zugegeben, wirklich erstaunlichen zarten Passagen, mit denen Smetana die Liebes- und Freundschaftsbeziehungen zwischen den handelnden Personen näherbringt.

Auch der Chor des Klangbogen-Festivals hält da mit und ballt sich zuweilen zu wirklich bedrohlicher Kraft, wenn es darum geht, das Volk gegen die tyrannische Herrschaft aufzubringen und zu versammeln.

Dass dergleichen einem der Aufrührer mit persönlicher Überzeugungskraft gelingen könnte, scheint hingegen wenig glaubhaft, denn an stimmlichen Meisterleistungen ist diese Dalibor-Produktion arm. Da sind in kleineren Partien schöne Stimmen zu hören, Valentin Prolat vor allem als Vitek, oder jedenfalls markig-ausdrucksstarke wie jene von Markus Butter, der als Einflüsterer hörbar bösen, giftigen Einfluss auf den König hat, den Scott Hendricks immerhin bemüht zwischen Herrschermiene und Ohnmacht hin und her schwanken lässt.

Doch sind die zentralen Partien schwächlich, also unterbesetzt. Gewiss Jan Vacik ist eingesprungen, weil der ursprünglich vorgesehene Tenor allzu spät Angst vor der eigenen Courage gehabt zu haben scheint: Der Dalibor ist eine rechtschaffen heldische Partie, die vielerlei Seelenpein malen können sollte vom Schmerz über den Verlust des Freundes bis zur Liebe zu jener Frau, die ihn verraten hat.
Eva Ubanova singt diese Milada und hat für die Gerichtsszene wie auch für die faszinierende Gemütswandlung angesichts des unbeugsamen Titelhelden nur unzureichend vokale Kraftreserven.
So expressiv manche Passage gelingt, knappt es doch in Höhe und Tiefe hörbar.

Bleiben wackere Streiter wie der Gefängniswärter Benes, den Peter Mikulas genau dort hinrückt, wo er hingehört: in die nähe von Beethovens Rocco aus dem "Fidelio", der hier in vielen Momenten ganz offenkundig als Muster gedient hat.
Dem Textdichter, der auch hier ein liebendes Weib verkleidet in den Kerker schleichen lässt, um den Geliebten zu befreien (was in "Dalibor" anders als im "Fidelio" nicht gelingt), und dem Komponisten, der sich bis hin zum Zitat an Beethovens Soldatenmarsch oder Verließ-Harmonien anlehnt.

Wagnerianer Smetana

Zwischendurch tönt es freilich auch nach Lohengrin, denn Smetana war ganz unüberhörbar bei allem Patriotismus Wagnerianer. Erst dort, wo der unzweifelhaft böhmische Melodienfluss zu strömen beginnt, gewinnt die Dalibor-Partitur ureigenste Konturen. Da ist dann der Meister der "Verkauften Braut" am Werk, dessen Musikantentum, von Petrenko und dem RSO lustvoll ausgekostet, herrliche, oft tatsächlich bewegende Momente beschert.
Zündende Final-Wirkungen dazu, vor allem dort, wo Milada mit der von Mary Mills sauber gesungenen Jitka ein agiles Aufbruchs- und Hoffnungs-Duett zu singen hat: In solch eruptiv positiven Augenblicken erreicht diese Aufführung immer ihre mitreißenden Höhepunkte.

Torsten Fischer hat dazu auf einer von Herbert Schäfer mit hochaufragenden Wänden und ineinander verschlungenen Treppensystemen bestückten Drehbühne die Handlung arrangiert, ein wenig kraftlos und fantasiearm in der Chorführung, doch sympathisch unverkrampft am Gang der Handlung orientiert.
Dergleichen erfreut heutzutage ohne Wenn und Aber das Publikum. Auch angesichts der Tatsache, dass Fischer aus dem Freund, dessen Tod es zu rächen gilt, einen Buben macht, der von einem Soldaten erschossen wird. Tugenden wie echte Freundschaft sind heute längst unglaubwürdig geworden, tragfähig bestenfalls zum strophenweisen Gedächtnistraining für Schüler anhand von Schillers Bürgschaft.

Mitschnitt der Staatsopern-Premiere unter Josef Krips



↑DA CAPO