Prometeo
Luigi Nono (1984)
Prometeo stellt zweifellos den Höhepunkt von Luigi Nonos lebenslangen Bemühungen um ein zeitgenössisches Musiktheater dar. Gleichzeitig markiert das Werk einen Rückzug von einem vorderündigen politischen Aktionsmus in Richtung auf eine Animation des Publikums zu introvertierter Selbstbespiegelung.
Vier Jahre lang haben Massimo Cacciari und Nono an der Struktur dieses einzigartigen theatralischen und akustischen Experiments gearbeitet. Das Ergebnis war, so der Untertitel des Stücks, eine Tragödie des Hörens.
Die Uraufführung des Prometeo fand am 25. September 1984 unter der Leitung von Claudio Abbado in der säkularisierten Kirche San Lorenzo in Venedig statt. Architekt Renzo Piano entwarf dafür eine gigantische Holzkonstruktion, die einem Schiff oder dem Resonanzkasten einer riesigen Laute ähnelte. Inspiriert von der venezianischen Mehrchörigkeit des Frühbarock bewegten sich die Musiker rund um das Auditorium. Der Text besteht aus einem dicht gewobenen Netz von Dramen- und Gedicht-Zitaten in drei Sprachen. Nonos Musikan dazu ist ebenso fragmentiert, wächst oft aus der Stille heraus und bleibt oft im flüsternden Grenzbereich zur Unhörbarkeit.
Live-Elektronik erweitert das Klangspektrum und wird durch Lautsprecher ebenfalls über den gesamten Raum verteilt.
I Prologo.
Passagen aus Hesiods »Theogonie« verquickt mit einem Stammbaum der griechischen Götter von Gäa bis Prometheus und zwei Strophen aus Massimo Cacciaris Gedicht Il Maestro del gioco, das sich in der Folge zitathaft durch das gesamte Werk zieht.
Chor und Orchester. Prometheus wird nach seiner Schuld befragt. (Fragmente aus Aischylos' Gefesseltem Prometheus)
III. (1) »Io-Prometheus« Die nach dem Liebesakt mit Zeus von Hera verfolgte Io.
stachelt die Leidenschaft des Prometheus an, sein Bedürfnis nach Schönheit, Meditation und Abenteuer. Prophetie schwerer Leiden.
Klagelied der Mythologie. Fragmente aus Friedrich Hölderlins Schicksalslied.
III. (3)Wechsel-Chöre erinnern an mehrchörige Renaissance-Kunst, Raumklang, Text-Fragmente von Euripides (Alkestis) und Aischylos (Prometheus)
IV. Interludio primo
Cacciaris Il Maestro del gioco, im Prolog bereits zitiert, hier als Hör-Erlebnis komponiert mit antiken Tragödienfragmenten - Gesang an der Grenze der Wahrnehmbarkeit. Akustische Spurensuche im Dunkeln.
Dialog mit dem Publikum: Wir existieren, wenn wir lauschen.
Klanginseln, die auftauchen und wieder versinken. Chor und Orchester. Dei Musik, die wir wahrnehmen, zerbröckelt immer wieder. In Rondo-Form vernehmen wir fünfmal den Chor mit fernen Echos aus den Klängen des Prologs. Im Zentrum Worte aus Sophokles' Ödipus auf Kolonos, Ahnungen von Musik aus Schönbergs Moses und Aron Sätze von Hölderlin und Nietzsche (Menschliches, Allzumenschliches. Zuletzt schweigt der Chor, das Orchester flüstert in vielfältigen polyphonen Überlagerungen.
VII. Tre voci (2)
Im Kontrast dazu nun Chor, a-cappella nach Versen aus Cacciaris Maestro del gioco, starke dynamische Kontraste und Echos aus den in Abscnitt VI vorgegangenen Isole.
VIII. Interludio II.
Nahtlos aus VII erwächst das ausschließlich dem Orchester vorbehaltene Zwischenspiel, geprägt vom dunkelsten Instrumenta-Register, gegliedert durch den Klang gläserner Glocken.
IX. Stasimo II.
Hier zitiert Cacciaris Gedicht einen Ausschnitt aus dem Prometheus des Aischylos, Reflexionen über den Widerstreit von Gesetz und subjektiver Eigenverantwortung. Zuletzt die Schlußtakte von Schönbergs Moses und Aron mit dem berühmten »O Wort, das mir fehlt«. In er Tradition der venezianischen Mehrchörigkeit tauchen aus allen Richtungen Stimmen auf und verschwinden wieder.
Das Ende ist Stille.