Nixon in China

Livemitschnitt von der Metropolitan Opera unter der Leitung des Komponisten

(Met Opera)

Weltpolitik auf der Opernbühne. Warum sollte das nur für Philipp II. von Spanien möglich sein: John Adams schuf eine Oper zur Zeitgeschichte.

Richard Nixon war zwar gewiß nicht der Präsident, den sich John Adams für seine amerikanische Heimat gewünscht hatte. DAs Engagement im Vietnamkrieg wollte er Nixon nicht verzeihen. Doch betrachtete der Komponist den ersten Staatsbesuch eines US-Präsidenten in Peking als »kühne Geste«, einen »handschlag im Herzen der kommunistischen Dunkelheit.«

Eine Geste, die ihn als Komponisten instand setzte, althergebrachten Helden-Mythen ein ironisch-modernes Pendant zu schaffen. Obwohl er den Vorschlag von Regisseur Peter Sellars zunächst ablehnte, ließ er sich dann breitschlagen, mit der gemeinsamen Freundin Alice Goodman im Kennedy Center, Washington, wochenlang einschlägige Berichte und Videos von dem historischen Ereignis durchzuackern.

Goodman schuf dann ein reizvolles, aus journalistischen Zitaten im Glossenton und artigen Opernversen kompiliertes Libretto.

Adams erstellte dann in zweijähriger Arbeit eine Partitur nach dem minimalistischen Opernvorbild von Phil Glass' Satyagraha. Dabei wies er dem amerikanischen Präsidenten eine Musik zu, die sich am Big Band Sound orientierte und klingen sollte »wie überreifer Glenn Miller«, während das Orchester in den chinesischen Szenen die grellen Farben der kommunistischen Propaganda beschwören sollte.

Die Handlung

Das Stück setzt besinnliche Selbstbespiegelungen neben große Tableaux: Eine Militärparade begrüßt die amerikanischen Gäste, im Dialog verweist Mao den US-Präsidenten in allen politischen Fragen an seinen Ministerpräsidenten. Er selbst sei »Philosoph«. Seine Sekretärinnen schreiben jede Aussage akribisch mit.

Der Mittelakt besteht aus einer alptraumartig verschachtelten Sequenz - die Gäste werden in eine Aufführung der Peking-Oper geführt, die sich als Egotrip von Maos Ehefrau darstellt und von dem Sieg der unterdürckten Arbeiterschaft über ihre Peiniger handelt, gleichzeitig aber allen handelnden Personen der amerikanischen und chinesischen Seite Rollen zuweist.

Das Resüme des Staatsbesuchs ist zwar mager, bringt aber alle Beteiligten dazu, über ihre Vergangenheit nachzudenken. Während Chinas Führer-Ehepaar zu tanzen beginnt

We’ll teach these motherfuckers how to dance
bleibt es dem Ministerpräsidenten Tschu En Lai vorbehalten, nachdenkliche Töne anzustimmen:
How much of what we did was good?

Reaktionen

Eine amerikanische Oper wohl noch nie mit solch hysterischer Erregung erwartet worden
gab sich das Magazin Connaisseur vor der Premiere neugierig.

Die Kritik reagierte auf die Uraufführung überwiegend positiv und gab sich erstaunt, wie kurzweilige sich eine minimalistische Oper ausnehmen konnte. Spiegel-Redakteur Klaus Umbach versuchte Adams' Stil zu beschreiben:
Ton auf Ton auf Ton, wieder und wieder die gleiche Folge, die gleiche schöne Leier. Der Rhythmus hält eisern durch, nur die Dynamik legt langsam zu. Musik nach dem Rotationsprinzip -
um dann einen für die Leser wohl höchst erstaunlichen Vergleich zu bemühen:
so, in genialer Weise eintönig, fing schon Richard Wagner sein »Rheingold« an.

Was Umbach auch ortete, war die Katalysator-Wirkung, die diesem Werk für die künftige Entwicklung des Musiktheaters zukommen sollte. Mitte der Achtzigerjahre betrieb die offizielle musikalische Avantgarde noch einen Elfbeinturm-Kultus, dem Adams den Garaus machte:
... um den Avantgarde-Jüngern aus Donaueschingen gleich noch eins auszuwischen, läßt er die Sänger sogar wieder singen: Da legt er über alle seine vielen orchestralen Kürzel richtig lange Arien, regelrechte Duette und ausgewachsene Ensembles, geradeso als müsse er, der Debütant im Genre, der verstaubten Gattung noch einmal auf die Sprünge helfen.

Der Spiegel, 26. Oktober 1987



↑DA CAPO

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