The Death of Klinghoffer
1991: Weltpremiere in Brüssel. Die Aufregung ist groß: John Adams hat nach → »Nixon in China« eine zweite Oper geschrieben. Ein großer Moment für den musikalischen Minimalismus - und eine Enttäuschung für die Kenner.
Es war das Renommier-Projekt des Brüsseler Intendanten Gerard Mortier. Der vieldiskutierte John Adams komponierte, Alice Goodman war - wie schon bei Nixon in China - die Librettistin, Regie-Enfant-Terrible Peter Sellars inszenierte wiederum, Choreograph Mark Morris betreute die Tanzszenen und der aufstrebende Dirigent Kent Nagano leitete das Orchester der Monnaie-Oper.
Regie-Enfant-Terrible
Sellars war bereits im Anflug auf seine freche Neudeutung der Mozartschen Da-Ponte-Opern und hatte bei Mortier Aufsehen erregt mit seiner ebenso gegen den Strich gebürsteten Produktion von Händels Julius Caesar.
Das Erfolgsrezept
Nun hatte man mit Nixon in China in den Achtzigerjahren einen unerwartet grioßen Erfolg gelandet. Inmitten der Ödnis der Elfenbeinturm-Avantgarde hatte das Publikum ein leicht konsumierbares minimalistisches Dreiklang-Happening als Erleichterung empfunden.
Zeitgeschichte
Diesmal aber hatte sich das Produzenten-Terzett bei einem brisanteren Fall der Zeitgeschichte bedient. Die reale Handlung der Tragödie auf dem italienisches Linienschiff Achille Lauro war erst vor wenigen Jahren passiert: Die Yacht liegt vor Alexandria vor Anker. Die Touristen genießen ihren Landgang. Nur die Alten und die Kinder sind noch an Bord. Und die Klinghoffers . . .
Sie werden von palästinensischen Terroristen, die das Schiff stürmen, als Geiseln genommen. Leon Klinghoffer, der an den Rollstuhl gefesselt ist, wird getötet.
Peter Sellars meinte, er sei an der Realität der historischen Tatsachen gar nicht interessiert. Für ihn gehe es darum,
eine Oper inszenieren, die das Publikum dazu bringt, über diese Ereignisse nachzudenken und grundlegendere Probleme darin zu entdecken ... Musik bringt Realität ans Licht und läßt uns die »Fakten« klarer erkennen als jeder Zeitungsbericht
Die Musik
Die Musik?
Ein Prolog, zwei Akte und ein Epilog -- Eine Kette von »Arien« simpelster Faktur, in denen jeder der Charaktere seine eigene Geschichte erzählt, von atmosphärischen, lyrischen Betrachtungen der Natur, der Nacht, der Wüste durchsetzt. Und von Chören kommentiert, die dem Werk den Charakter eines Oratoriums geben und, so Adams, daran erinnern sollen, daß die Handlung in einem Winkel der Welt angesiedelt ist, die als Wiege der westlichen Zivilisation gilt:
Diese Chöre erinnern uns ständig daran, daß Judentum, Christentum und Islam Seite an Seite in einer Region geboren wurden, in einer Region, die bis heute ein Spielort ist im »Theater der grausamen Kriege«
Instrumentation
Konsequenter als in früheren Kompositionen überlagert Adams den traditionellen Orchesterapparat mit elektronischen Klängen. Die Synthesizer erforden die Einbindung von Lautsprechern ins Bühnenbild, was Ausstatter George Tsypin anläßlich der Uraufführung raffiniert zu nutzen versteht.
Adams' Rhythmen sind so obsessiv wie gewohnt, aber die überrumpelnde Wirkung bleibt diesmal aus. Man hat sich daran gewöhnt, das Rezept ist allzu bewährt.
So reagieren Kenner enttäuscht auf die Uraufführung und zeihen auch den Regisseur Peter Sellars der Widerverwertung szenischer Effekte, die schon einmal zu sehen waren und deren Wirkung sich ebenso schnell verbraucht wie die Repetitionen von Adams' Dreiklangszerlegungen.
Die großformatigen Videoprojektionen der Gesichter der Sänger wird immerhin Schule machen und jahrzehntelang von verschiedensten Regisseuren verwendet werden.
Star des Uraufführungsabends war nach übereinstimmender Ansicht aller Kommentatoren der Dirigent Kent Nagano, der Klinghoffer dann an die Opéra de Lyon brachte und mit dem dortigen Ensemble für CD einspielte.