La Traviata

Musik von Giuseppe Verdi.
Libretto von Franceso Maria Piave, basierend auf dem Roman »Die Kameliendame« und dem gleichnamigen Theaterstück von Alexandre Dumas d. J.

Schon die ersten Takte des Orchestervorspiels verraten Giuseppe Verdis Absicht, hier neue Wege zu gehen: Nur Wagners Lohengrin hebt in jener Zeit vergleichbar irreal-schwebend mit vielstimmigen Violin-Klängen an, um ebenfalls musikdramatisches Neuland zu erobern.

Mit seiner Traviata bricht Verdi auch inhaltlich mit allen Konventionen. Die Todesahnung, die im Vorspiel mitschwingt, weicht mit Aufgehen des Vorhangs exuberanter Festesfreude. Wir finden uns in einem Pariser Salon der Belle Époque - Verdi holt das pralle Leben seiner Zeit auf die Opernbühne. Vorbei ist es mit Kaisern, Göttern, Druiden - die Realität erobert das Musiktheater.

Und noch dazu eine Realität, über die man in der »guten Gesellschaft« in der Regel verschämt nur hinter vorgehaltener Hand spricht: Violetta Valéry, die Hauptfigur des Stücks, ist eine von der Männerwelt umflatterte Edelkurtisane! Am Beginn der Handlung wird ihr Alfredo Germont vorgestellt, ein junger Mann aus der Provinz. Dessen Avancen weist sie mit einem Anflug von Arroganz ab. Einen Mann, der so glühend verliebt sei, könne sie nur enttäuschen. Doch in Wahrheit ist Violetta fasziniert von diesem Verehrer. Als sie nach dem Fest allein bleibt, versucht sie die Gedanken an ihn zu verjagen - und doch: Das Schicksal hat zugeschlagen: Sie ist ehrlich verliebt.

Das junge Paar zieht sich von der glamourösen Stadt aufs Land zurück. Doch Alfredos Vater erscheint, um Violetta zu drängen, das schlampige Verhältnis mit seinem Sohn zu beenden - denn Alfredos Schwester ist noch unverheiratet und das Leben des Bruders an der Seite einer Kurtisane beschmutze die Familienehre.

Der tiefgründige Dialog zwischen dem auf Sitte und Moral bedachten Vater Germont und der verliebten, aber dann doch zum Verzicht bereiten Violetta gehört zu den bedeutendsten psychologischen Szenen der Opern-Geschichte, ein Wunder an feinsinniger Seelenbespiegelung und musikalischer Charakterisierungskunst mit knapper, sicherer kompositorischen Zeichensetzung.

Alfredo soll aber die Trennung leichter verschmerzen - Violetta verschweigt den wahren Grund und gibt vor, ihr altes Leben weiterzuführen. Doch Alfredo ist verzweifelt und stellt die Geliebte auf einem Ball in Paris zur Rede. Sie behauptet, einen anderen Mann zu lieben - Alfredo demütigt sie daraufhin vor allen Ballbesuchern als käufliche, leichtfertige Person.

Es ist zu spät, als Alfredo die Wahrheit erfährt. Als er reumütig in Violettas Arme zurückkehrt, liegt sie bereits im Sterben.

Fiasko in Venedig

Verdi selbst war sich der »Anstößigkeit« des Sujets in seiner Zeit natürlich bewußt:
Für Venedig mache ich die ›Kameliendame‹, die vielleicht ›Traviata‹ als Titel haben wird. Ein zeitgenössischer Stoff. Ein anderer würde ihn vielleicht nicht gemacht haben, wegen der Kostüme, der Zeit und wegen tausend anderer dummer Skrupel … Ich mache ihn mit dem größten Vergnügen.
Die Zensur machte dem Komponisten freilich einen Strich durch die Rechnung. Das Werk durfte zwar uraufgeführt werden, die Handlung mußte aber »in die Zeit Richelieus« zurückverlegt werden. Sogar in vielen frühen Drucken hieß es: »Zeit der Handlung: 17. Jahrhundert«.

Anläßlich der Uraufführung war die Traviata kein Erfolg. Die Premiere wurde zu einem Fiasko. Aber Verdi war nicht zu beunruhigen. Er war überzeugt, »daß das letzte Wort über die ›Traviata‹ gestern nicht gesprochen wurde.«

Die Musik

Tatsächlich gehörte das Werk bald zu Favoriten des Opernpublikums, zählt zu den zehn meistgespielten Musiktheaterwerken und berührt das Publikum vielleicht gerade wegen seiner gesellschaftskritischen Töne bis heute.

Schon die dramaturgisch Konfrontation der beiden Seiten Violettas im ersten Akt, in dem sie zunächst die gewohnte Rolle als Gesellschafts-Dame spielt und zuletzt als einsame, völlig auf sich allein gestellte Frau erscheint, ist genial.

Verdis Musik wechselt oft in Sekundenschnelle vom brillant-oberflächlichen Konversationston zum intimen, tiefgründigen Dialog, für den auch der Orchesterklang immer wieder kammermusikalisch aufgefächert wird.

Ebenso virtuos setzt er die Formen des althergebrachten Belcanto-Stils (etwa die Abfolge Arie - Cabaletta) gegen kleinteilig gearbeitete, nur durch die Handlung strukturierte psychologische Szenen.

Aufnahmen


Entsprechend interessant war die Traviata daher immer für analytische Dirigenten. Carlos Kleiber zählte sie zu seinen Lieblingsstücken und hat sie mit wechselnden Besetzungen immer wieder aufgeführt. In München gab es legendäre Aufführungsserien mit der feinnervig und durchwegs, auch in den repräsentativen Szenen wie hinter einem zarten Schleier der Melancholie gestaltenden Ileana Cotrubas und Giacomo Aragall, die imstande waren, auf Kleibers sensible Orchesterarbeit mit entsprechend vielgestaltiger Vokalkunst zu reagieren.
Leider mußte die Besetzung für die Studioaufnahme der Deutschen Grammophon damals modifiziert werden: So kam die Cotrubas zu Placido Domingo als Partner, der keineswegs in Glanzform war - das hohe C am Ende der Cabaletta ist einer der hässlichsten »nachgeschnittenen« Töne der Schallplattengeschichte . . .

Es ist bemerkenswert, daß es auch von der legendären »Traviata des Jahrhunderts«, Maria Callas, keinen rundum befriedigende Aufnahme gibt, nur einige, in denen die Diva hören läßt, was sie aus dieser Partie machen konnte - und das ist in jeder Hinsicht enorm. Anders als die meisten Interpretinnen war die Callas in ihrer Glanzzeit den Koloraturen und Fiorituren, die im ersten Akt gefordert sind, ebenso souverän gewachsen wie den Ansprüchen auf dramatische Gestaltungskunst in den beiden folgenden Akten. Einen Partner gleichen Ranges hat die Callas im Schallplattenstudio nicht gefunden - und auch auf den erhaltenen Livemitschnitten muß der Hörer erhebliche Abstriche machen. Technisch am besten klingt noch der von Warner klanglich renoviert herausgegebene Livemitschnitt aus Lissabon von 1958 mit Alfredo Kraus. Musikalisch weit überlegen ist der technisch gegen Ende zu immer kläglicher werdende Livemitschnitt aus der Mailänder Scala mit Giuseppe di Stefano, der als Singschauspieler ein kongenialer Partner der Diva ist: Der Balanceakt zwischen Verzweiflung und Euphorie kurz vor dem Finale ist eine Musiktheater-Sternstunde.



↑DA CAPO