Wo Wünschen nicht geholfen hat

»Stiffelio « an der Staatsoper
Verlorene Liebesmüh'

28. Oktober 1996


Giuseppe Verdi wünschte, seine Oper »Stiffelio « möge sich nach anfänglichen Mißerfolgen doch noch durchsetzen. Die Wiener Staatsoper beweist unter Aufbietung von Weltstars, warum sich dieser Wunsch nicht erfüllen konnte.

"Stiffelio" erzählt, wie die meisten Opern, von Liebe und Eifersucht.

Nur, daß die Protagonisten diesmal im protestantischen Pastorenmilieu beheimatet sind und der Prediger Stiffelio seiner Gemahlin den Ehebruch coram publico verzeiht, nachdem der Schwiegerpapa den Liebhaber seiner Tochter enthauptet hat. Der Mord spielt sich hinter der Szene ab; und auch sonst hat Verdis Librettist Piave jegliche Gelegenheit zu dramatischer Attacke sorgfältig vermieden.

Kein Duett verbotener Liebe läßt das Herz der notorisch voyeuristisch veranlagten Opernfreunde höher schlagen. Man erzählt sich auf der Bühne Geschichten und Anekdoten, statt sie zu erleben.

Dergleichen könnte nur ein grandioser Tschechow-Regisseur zum Leben erwecken. Der stand in Elijah Moshinsky nicht zur Verfügung. Dessen Personenführung beschränkt sich im plump-atmosphärelosen Bühnenbild Michael Yeargans vor allem darauf, Mara Zampieri als Nervenbündel über die Bühne wanken zu lassen. Das erregt Mitleid, aber nicht mit der vom schlechten Gewissen geplagten Ehebrecherin, sondern mit den von allen guten Regiegeistern verlassenen Protagonisten einer Staatsopernpremiere.

Das ist ein Grund, warum "Stiffelio" als langatmige Angelegenheit empfunden werden kann. Der andere: Die Partitur enthält nicht Verdis stärkste Musik.

Mara Zampieri triumphiert

Im Gegenteil. Sie ist arm an melodisch einprägsamer Substanz wie wenige der über zwei Dutzend musiktheatralischen Kompositionen Verdis.

Das Genie lüftet nur anläßlich des unwiderstehlichen Stürmens und Drängens applaustreibender Strettajagden sein Inkognito. Manches Detail der duftigen, phantasievollen Instrumentation nicht zu vergessen, die Fabio Luisi mit den Philharmonikern unaufdringlich, aber subtil auskostet.

Den Sängern wird ein herrlicher Klangteppich unterbreitet, auf dem sich vokale Kunstfertigkeit unverstellt entfalten kann. Wenn sie kann. Mara Zampieris Arie am Beginn des zweiten Aktes war in dieser Hinsicht, vom betörend luziden Klang differenziert zirpender und flötender Solostreicher umschwärmt, ein Höhepunkt des Abends: So erfüllt in jeder kleinsten melodischen Biegung, so voll und ganz Ausdruck wird die Gesangsphrase nur bei einer Diva, die diesen Ehrentitel verdient.

Sie bringt pure musikalische Schönheit mit inhaltlicher Wahrhaftigkeit zur Deckung. Der »primo uomo« des Abends wäre demgemäß Renato Bruson, bei dem nach wie vor zu hören ist, was eine kultiviert geführte Männerstimme vermag: noble, feinsinnige Schattierung auch in weitgespannten Bögen, der Affekt stets eingebunden in wohl austarierte vokale Entfaltung. Ein Belcantopapst.

Titelheld ist José Carreras. Er läßt immerhin in seiner abschließenden großen Predigt, in angenehmer Mittellage situiert, Erinnerungen an sein Edeltimbre aufleben, was die Verehrer mit dankbarem Applaus quittieren können.

Gut besetzt sind die kleineren Partien, allen voran der alte, sonor tönende Geistliche von Goran Simic und der verhinderte Liebhaber Ruben Broitman. Beide machen sich bemerkbar, obwohl Verdi ihre Rollen nicht gerade verschwenderisch reich bedacht hat.

Der Chor verdient vor allem für das in gehauchtem, aber tragfähigem Piano gesungene Gebet im Finale ein Extralob. Nur eine Frage drängt sich nach alledem auf: Ob man die drei berühmten Sänger nicht auch in einer wirklichen Inszenierung einer guten Verdi-Oper präsentieren könnte?

↑DA CAPO