MÄRCHEN IN DREI AUFZÜGEN
Erster AufzugI
Auf der Terrasse des kaiserlichen Palastes wacht die Amme vor dem Schlafgemach des Kaiserpaars. Ein Geisterbote erscheint und verkündet: Eine Frist ist gesetzt: Wirft die Kaiserin nicht innerhalb von drei Tagen einen Schatten, muß sie, die Tochter des Geisterfürsten, heimkehren in dessen Reich. Der Kaiser aber wird zu Stein. Denn
durch ihren Leib gleitet das Licht als wäre sie gläsern
- die Kaiserin wirft keinen Schatten, das heißt: sie wird nicht Mutter.
Die Amme, die nichts sehnlicher wünscht als die Rückkehr ins Geisterreich triumphiert als der Kaiser beim Morgenrot erscheint, um auf die Jagd zu gehen. Drei Tage wird vermutlich nicht heimkehren . . .
Die Kaiserin erscheint, schwebend, schwerelos, ein Feenwesen. Doch in der Höhe schwebt der Jagdfalke des Kaisers und verkündet:
Die Frau wirft keinen Schatten
Der Kaiser muß versteinen.
Verzweifelt dingt die Kaiserin ihre Amme, ihr den Schatten zu verschaffen. Sie müssen hinab ins dumpfe Gewühl der Menschen, von denen der Kaiser seine Frau bisher ferngehalten hat.
II
Im Hause des Färbers Barak spiegelt sich das kaiserliche Unglück auf profane Weise: Die Färberin ist unzufrieden mit dem Leben an der Seite des arbeitsamen, aber unsensiblen Barak und seinen mißgestalteten Brüdern. Auch sie ist nicht Mutter geworden - und sie ist des Lebens überdrüssig. Da erscheinen Kaiserin und Amme, als Mägde verkleidet und bieten ihre Dienste an. Die Amme gaukelt der Färberin ein Leben in prächtigen Gewändern mit schönen Liebhabern vor - sie müsse freilich ihren Schatten verhandeln.
Die Färberin willigt ein. Als Barak zurückkehrt, findet er sein Bett von dem seiner Frau getrennt. Die Nachtwächter singen das Lied von Liebe und Treue.
Zweiter Aufzug
I
Das Netz der Verführungen um die Färberin zieht sich immer enger. Während Barak versucht, mit Speis und Trank ein gemütliches Heim zu schaffen, lockt die Amme mit ihren Trugbildern. Der Schatten muß in einem dreitägigen magischen Akt von der Menschenfrau auf die Kaisern übergehen.
II
Der Kaiser bemerkt auf der Jagd, daß der Pavillon, in dem die Kaiserin für drei Tage wohnen wollte, leer ist. Er beobachtet, wie sie und die Amme heimkehren und fühlt »Menschendunst« um sie. Verzweifelt zieht er sich zurück.
III
Die Färberin löst sich mehr und mehr von ihrem Mann und verfällt den Trugbildern der Amme, vor allem dem verführerischen Bild eines jungen Mannes, das verschwindet, sobald der Färber erscheint. Sie will ausgehen und sich ganz von Barak abwenden.
Auf dem Höhepunkt der seelischen Verwirrung blicken einander die Kaiserin als Dienstmagd und Barak in die Augen: "Wer da?" - "Ich, mein Gebieter, deine Dienerin."
IV
Die Kaiserin wird von Alpträumen gequält - sie sieht, wie der Kaiser sich im Wald verirrt und in den Geisterbezirk eindringt: Er wählt die Tempelpforte, die in den Tod führt, statt jener, die das "Wasser des Lebens" verheißt.
V
In höchster Bedrängnis gesteht die Färberin ihrem Gatten, ihren Schatten und damit ihre Mutterschaft verkauft zu haben - Barak lässt ein Feuer entzünden und sieht, dass sie keinen Schatten mehr wirft. Er holt mit dem Schwert, das ihm die Geistermächte plötzlich in die Hand geben, zum tödlichen Streich aus. Doch ein gewaltiges Erdbeben lässt den Fluß über die Ufer treten und das Färberhaus versinken.
Dritter Aufzug
I
Färber und Färberin darben in getrennten Katakomben und finden in Gedanken wieder zueinander. Doch sie müssen einander suchen und werden auf getrennten Wegen in die Freiheit entlassen.
II
Amme und Kaiserin landen, von einem Zaubernachen geführt, an jenem Ort, an dem die Kaiserin im Traum den Kaiser gesehen hat. Sie verstößt die Amme und ist bereit, sich im Tempel den Prüfungen durch ihren Vater zu unterziehen.
Die Amme schickt in ihrem Menschenhaß die verzweifelt einander suchenden Färbersleute in verschiedene Richtungen fort und wird vom Geisterboten endgültig des Geisterreiches verwiesen.
III
Im Tempel widersteht die Kaiserin den Verführungen: Ein Zauberwesen bietet ihr an, vom Wasser des Lebens zu trinken. Dann werde der Schatten der Fäbersfrau der ihre sein. Doch von draußen dringen die Stimmen der verzweifelt einander suchenden Menschen herein. Die Kaiserin sieht zwar mit einem Mal den versteinerten Kaiser vor sich, von dem nur noch die Augen lebendig scheinen - doch will sie ihr Glück nicht dem Unglück des Färberpaares verdanken.
Ihr Satz "Ich will nicht" bringt die Erlösung. Die Selbstsucht ist überwunden. Der Kaiser steht auf und führt seine Kaiserin, die einen langen Schatten wirft, ins Freie.
IV
In einer idealen Landschaft finden zwei glückliche Paare zueinander. Die Stimmen der Ungeborenen grüßen jubelnd ihre geläuterten Eltern.