Franz Schrekers ewige Wiedergeburt

»Die Gezeichneten« bei den Salzburger Festspiele


Livemitschnitt aus der Felsenreitschule

(EuroArts)

Die Salzburger Festspiele rufen wieder einmal zur Komponisten-Renaissance.

28. Juli 2005

Es geht ein Gespenst um in den Intendantenköpfen. Lang bevor man mit Werken eines Alexander Zemlinsky aufregende Musiktheater-Abende erlebte, bevor man mit Erich Wolfgang Korngolds Toter Stadt ein wirkliches Erfolgsstück der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder entdeckte, begann bereits die große Erzählung von der vergessenen Meisterschaft des Komponisten Franz Schreker.

Mit den Werken der genannten Kollegen haben die seinen gemeinsam, dass sie während der Ära des Nationalsozialismus verboten waren. Die Entdeckungen, die Musikfreunde machen dürfen, seit verdienstvollerweise aufgearbeitet wird, was von den diktatorischen Regimen des 20. Jahrhunderts verboten und unterschlagen wurde, sind jedoch kontraproduktiv für die insistierenden Schreker-Wiederbelebungsversuche. Wie zuletzt bei Irrelohe an der Wiener Volksoper war nun bei der Premiere der Gezeichneten in der Salzburger Felsenreitschule zu erfahren: Etwas dermaßen Verstaubtes, peinlich im Fin-de-Siecle-Zeitgeist Verhaftetes wie Schrekers Stücke findet sich im Fundus der Operngeschichte kaum.

Schon die Libretti, selbst gedichtet, lassen kaum ein poetisches Fettnäpfchen aus, wenn es gilt, die Verwirrungen in den Köpfen der Zeitgenossen der Traumdeutungs-Ära zu verdichten. Krause Handlungsverläufe, getragen von ebenso krausen Dialogen voll der Plattitüden.

Suche nach der verlorenen Melodie

Dazu eine Musik, die sich selber nicht findet, stets auf der Suche nach der verlorenen Melodie, der harmonischen Erfüllung. Mag sein, dass das zu Lebzeiten des Meisters als freundliche Alternative zu den Experimenten der radikalen Moderne galt: Immerhin verliert der Hörer bei Schrekers Stücken nie den Boden der Tonalität unter den Füßen.

Das freilich wird ihm zum Verhängnis. Denn zu den wesentlichen Herausforderungen einer Musik, die fortwährend auf ein harmonisches Ziel zustrebt, gehört es, dieses irgendwo auch zu erreichen. Bei Schreker versickern die Klänge jedoch immer wieder im harmonischen Nirwana. Klanglich weben und wabern sie auf der Höhe der Zeit, denn die Orchestertechnik ist geschult an den Errungenschaften eines Richard Strauss, eines Franz Lehar, nennen wir das Kind ruhig beim Namen. Nur dass bei Lehar auch in den schwächeren Werken am Ende auch des gequältesten Modulationsprozesses immer noch ein melodischer Einfall, ein dramatischer Effekt erreicht wird, der das funkelnd instrumentierte, leuchtkräftig schillernde Brimborium, das ihn vorbereitet hat, rückwirkend rechtfertigt.

Momente solcher Erfüllung versagt uns Schreker den ganzen Abend lang. In den entscheidenden Momenten dramaturgischer Verdichtung passiert musikalisch in der Regel wenig bis nichts. Im besten Fall vereinigen sich sämtliche der diesfalls von Kent Nagano und dem Deutschen Symphonieorchester mit viel Kraft und Animo mobilisierten Orchesterkräfte zum ausladenden Fortissimo.
Vielleicht begreift der Hörer angesichts solch kompositorischer Ödnis, warum ein Arnold Schönberg in dieser Situation die Konsequenz gezogen hat und lieber Musik schrieb, die gar nicht mehr so tut, als eiferte sie spätromantischen Gestaltungsprinzipien nach.

Die Sänger, mehrheitlich exzellent, tun sich schwer, ihre Stimmen gewinnbringend einzusetzen. Da ist Anne Schwanewilms als kokette Carlotta. Sie soll dem reichen, aber missgestalteten Alviano vorgaukeln, sie hätte sich in ihn verliebt, weil sie als Künstlerin die schöne Seele im hässlichen Körper verstehe. Dazu umgirrt, umzwitschert sie den Armen mit hellen, klaren, eloquent geführten Soprantönen. Nur in den großen wagnerischen Ausbrüchen, die Schreker vor allem gegen Ende des ersten Akts von ihr verlangt, wäre dramatischerer, großer Atem vonnöten, um in der Felsenreitschule das instrumentale Psychogetöne zu übertrumpfen.

Robert Brubaker wird das bedauernswerte Opfer dieser weiblichen Kaprize: einige angestrengte Töne, aber insgesamt die mit tenoraler Inbrunst gestaltete Skizze eines gequälten Individuums. Nur die optischen Vorgaben der Inszenierung verhindern eine zumindest jenseits der musikalischen Schwächlichkeiten angesiedelte, theatralische Annäherung der handelnden Figuren.

Der Krüppel ist hier Transvestit

Denn Raimund Bauer hat die Bühne mit einer umgestürzten Frauenskulptur verbaut, auf der die Darsteller mühevoll balancierend der Absturzgefahr entgehen müssen. Da spielt sich's nicht unverkrampft. Weshalb Regisseur Nikolaus Lehnhoff darauf verzichtet, die seelischen Irrungen und Wirrungen sinnfällig werden zu lassen, von denen Schrekers Text platt, aber doch erzählt. Seine simplen Arrangements erzeugen dieselbe Langeweile wie das Schwarz-Weiß der Fledermaus-Kostüme Andrea Schmidt-Futterers. Farbtupfen setzen nur die Scheinwerfer und das rosa Kleidchen, das Herr Alviano in intimen Momenten trägt. Denn er ist kein Krüppel, wie Schreker vorschreibt, sondern ein Transvestit. Was uns das erzählt? Jedenfalls wird Alviano im Augenblick des innigsten Dialogs von der vorgeblichen Geliebten Carlotta nicht gemalt, sondern entkleidet und steht im Ganzkörperstrumpf vor ihr und vor dem Festspielpublikum, das auch darüber nicht sonderlich bewegt scheint.

Wie sich auch zuletzt die Überraschung darüber in Grenzen hält, dass die Hauptdarstellerin doch lieber mit dem feschen, auch baritonal elegant phrasierenden Grafen Tamare eine Liebesnacht verbringt, was zu Eifersuchtsmord und abschließendem Wahnmonolog Alvianos führt. Der verpufft so wirkungslos, dass das Resümee nicht schwer fällt: Wer die Tragödie des hässlichen Menschen erzählen will, ist mit Verdis Rigoletto schon ziemlich gut bedient. Wählt er zur Abwechslung Zemlinskys atemberaubende Oscar-Wilde-Vertonung Der Zwerg, dann steht ihm auch ein wirklich exzellentes Stück einst verbotener, als »entartet« denunzierter Musik zur Verfügung.

Die Gezeichneten aber sind und bleiben eine unnötig aufgeblasene musiktheatralische Quantité négligeable.



↑DA CAPO