Nur Puccinis Tosca
ist nicht umzubringen!

Das Burgtheater versucht sich an einer Verballhornung von Sardous »Tosca«

6. April 1996
Frech, spritzig, zeitgemäß will man im Burgtheater mit »Tosca!« - sehr frei nach Victorien Sardou - offenbar sein.
Das ist, zeigt sich, nicht einfach.


Victorien Sardou schuf 1887 mit allem Pathos, mit all den großen Gesten, die damals dazu gehörten, für die Tragödin Sarah Bernhardt eine Traumrolle.

Die Erben, ein Jahrhundert danach, nützen die Vorlage für andere Zwecke.
Ihr Theater will den Gegenpol zu spätromantischem Bombast bilden.

Statt in diesem Sinne selbst schöpferisch tätig zu werden, benützt man, was entschieden leichter ist, alte Vorlagen, über die man sich lustig machen kann. Wenn dann auch noch eine Szene des gewählten Stückes in einer Kirche spielt, dann muß natürlich einer der Darsteller - in diesem Fall der vor folternden königlichen Polizeischergen geflüchtete Republikaner Cesare Angelotti - als Schmerzensmann am Kreuz erscheinen; oder, je nach Situation und Kostümierung, auch als betende Madonna.

Auch daß der fiese Baron Scarpia eine Muttergottes-Statue abschleckt, bevor er sie zertrümmert, gehört zu den Konzessionen an die ständig kichernden deutschen Claqueure im Parkett. Ohne blasphemische Details zu verwenden, wäre ein »heutiger« Theatermacher unten durch. Mit ihnen aber schießt er sich ein Eigentor.

Die verkrampfte Suche nach derlei Pflichtübungen irritiert nämlich nicht nur viele Besucher in einer Premiere am Gründonnerstag. Sie stört auch das eigentliche Konzept des Abends.

Man wollte offenkundig eine schwungvolle, parodistische, mit vielen Zitaten gespickte Revue auf die Bühne bringen. Von der berüchtigten Filmszene a la Terminator über die kabarettreife Verblödelung eines »Sterbeduetts«, die Konfrontation zwischen einem sexhungrigen Perversling und einer Primadonna, bis zur durchaus realistischen Eifersuchtsszene reicht das Spektrum.

Naturalistische Kostüme und nur ein paar Versatzstücke sorgen auf der im übrigen leeren Bühne für die jeweils nötige Atmosphäre. Die Tatsache, daß Tosca altersmäßig viel besser zu Baron Scarpia passen würde als zu ihrem Geliebten, dem feschen Jüngling Cavaradossi, sorgt für den rechten Zündstoff im Eifersuchts-Reigen.

Die Voraussetzungen stimmen also.
Die Realisierung aber läßt zu wünschen übrig.
Regisseur Michael Simon mangelt es an Organisationstalent, den meisten Schauspielern vielleicht auch an Persönlichkeit, die geforderte virtuose, konzise, schlagfertige Szenenfolge mit dem nötigen Biß auf die Bühne zu bringen. Selbst dort, wo Fritz Schediwy einen bis zur Epilepsie verkrampften, bis zum Sadismus verweichlichten Widerling mimt, droht Wiederholungs-, Abstumpfungsgefahr.

Mit dem »Alzheimer«-Schmäh im Liebestod des Geschwisterpaars von Anja Kirchlechner und Markus Hering erreicht die unbewältigte Farce ihren Tiefpunkt. Scheinbares »Text vergessen« braucht höhere Schauspielkunst.

Wie jene von Kirsten Dene, die in virtuoser Verwandlungskunst alle Volten, alle Exaltiertheiten des Konzepts voll ausspielt und demonstriert, was wohl insgesamt gemeint war: ein kühnes Kaleidoskop, in dem Schlag auf Schlag Pointen, Assoziationen, Überraschungen aufeinander folgen; ein amüsanter - musikalisch mit verjazzten Puccini-Zitaten gespickter - Theaterabend.

Nur: Das muß man können. Sonst stürzt man ab wie Tosca von der Zinne.

Schon passiert.

DA CAPO ↑