Der Wildschütz

Komische Oper von Albert Lortzing. Text: August von Kotzebue.
Uraufführung: 1842 Leipzig.

PERSONEN DER HANDLUNG:Graf von Eberbach (Bariton) – Die Gräfin, seine Gemahlin (Alt) – Baron Kronthal, Bruder der Gräfin (Tenor) – Baronin Freimann, eine junge Witwe, Schwester des Grafen (Sopran) – Baculus, Schulmeister auf einem Gut des Grafen (Baß) – Gretchen, seine Braut (Sopran) – Pancratius, Haushofmeister auf dem Schloss (Baß oder Tenor) – Nanette, Kammermädchen der Baronin (Sopran)

Süddeutschland, um 1803


Die Handlung



I. Akt

Dorfschulmeister Baculus feiert Verlobung mit Gretchen.
Es lebe das Brautpaar! - So munter und fröhlich wie heute
Da überbringt ihm ein Bote des Grafen ein Schreiben: Baculus soll als Wilderer einen Rehbock geschossen haben und wird daher entlassen.
Ein Brief vom Herrn Grafen
Man beschließt, Gretchen beim Grafen vorsprechen zu lassen, doch Baculus weist diesen Gedanken aus Eifersucht zurück.
Wie kannst du so mein Herz touchieren?


Währenddessen sucht ein junger Student Gelegenheit, in Ruhe die Szene zu beobachten.
Auf des Lebens raschen Wogen
Es handelt sich in Wahrheit um die verkleidete Baronin Freimann, die junge verwitwete Schwester des Grafen, der ihr Baron Kronthal als neuen Gatten zugedacht hat. Die Baronin - in der Rolle des Studenten - bietet nun an verkleidet als Gretchen beim Grafen für Baculus vorsprechen zu wollen.
Quartett: Was meint Ihr, lieber Freund
-- Als der Graf und seine Jagdgesellschaft vorbeikommen, sind alle sogleich entzückt - vom echten und vom verkleideten »Gretchen«.
Guten Abend, liebe Leute
Der Graf ist in Laune: Alle miteinander mögen morgen zu seinem Geburtstagsfest aufs Schloß kommen.

II. Akt

Dort herrscht Tristesse, denn die Gräfin liest mit Vorliebe antike Tragödien laut vor. Pancratius rät daher dem in seiner Sache vorsprechenden Baculus, sich diese Schwäche der Gräfin zunutze zu machen. Ein paar eilig zusammengestellte lateinische und griechische Zitate machen zwar der Gräfin Eindruck. Der Graf aber nimmt die Entlassung nicht zurück. Erst als das verkleidete »Gretchen« als angebliche Braut des Baculus erscheint, erweichen sich die Herzen der adeligen Herren: der Graf umwirbt das schöne Bauernmädchen ebenso wie der Baron.
Bleiben soll ich und stets sie sehen
Nun mögen doch Baculus und seine Braut angesichts eines drohenden Unwetters im Schloß übernachten . . .

Verwirrung bricht aus, als während einer Billardpartie alle Lichter verlöschen.
Quintett: Ich habe Numro Eins
Das schafft Gelegenheit: Der Baron handelt Baculus sein »Gretchen« für fünftausend Taler ab.
Fünftausend Taler


III. Akt

An seinem Geburtstag ist der Graf bester Laune
Heiterkeit und Fröhlichkeit
Er ist vom vermeintlichen Gretchen charmiert. Doch müssen langsam die schlampigen Beziehungsknoten gelöst werden, die sich am vergangenen Abend geknüpft haben: Baculus bringt das echte Gretchen herbei - nun muß die Baronin gestehen, sich als verkleideter Student noch einmal in das »Gretchen Nr. 2« verwandelt zu haben. Die doch recht problematischen Konstellationen, die sich durch die diversen verwandtschaftlichen Beziehungen ergeben hatten, lösen sich in Wohlgefallen auf - es war wohl »die Stimme der Natur«, die da gesprochen hat.
Quartett: Kann es im Erdenleben
Der Baron freut sich über seine neue Baronin, Gretchen bekommt ihren Baculus; und der darf Schulmeister bleiben: Der Rehbock, der er geschossen zu haben meinte, war nämlich sein eigener Esel . . .

August von Kotzebues Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewußten war eines der meistgespielten Stücke des Biedermeier. Lortzing hatte in etlichen Aufführungen den Baron gespielt. Mit geschickter Dramaturgenhand gelang es dem Dichter-Komponisten, die Figuren Kotzebues noch lebendiger zu machen. Aus dem Pächter Grauschimmel wurde der Schulmeister - er sollte bis kurz vor der Premiere nach dem Pädagogik-Reformator Basedow benannt werden. Den Namen Baculus (zu Deutsch: »Das Stöckchen«) wählte Lortzing dann angesichts der Antikenbegeisterung, die er der Gräfin angedichtet hatte. Er spielte damit auf eine Mode an, die 1842 durch eine Aufführung von Felix Mendelssohn-Bartholdys Sophokles-Vertonung Antigone in Leipzig grassierte. So kam auch der von Lortzing hinzuerfundene Haushofmeister des Grafen, Pancratius, zu seinem Namen.

Der Musikdramaturg Lortzing ist hier auf der Höhe seiner Gestaltungskraft. Die zeitkritischen Pointen sind subtil in den Text verwoben - und bedürften heute vielfach bereits kundiger Erläuterung - die Handlung beginnt bereits mit dem Schuß, der während der Ouvertüre hinter der Bühne fällt.

Die Partien sind allesamt dankbar und kraftvoll-sicher gezeichnet. Der Baculus ist ein Bruder des van Bett aus Zar und Zimmermann, die Baronin zumindest eine Cousine von Mozarts hintergründig-gewitzter Figaro-Susanna, der Baron ein melancholischer Charmeur, ganz Kinder seiner biedermeierlichen Zeit.

Die Billardszene im zweiten Akt gehört in ihrer feinen Differenzierung der Stimmen zu den brillantesten Ensemble-Stücken der musikalischen Romantik.

Gesamtaufnahme aus dem Katalog der DDR-Firma Eterna in feiner Besetzung: Hans Sotin als Baculus an der Seite von Edith Mathis, Doris Soffel, Peter Schreier und Gottfried Hornik unter Bernhard Klee       (Brillant)

Die alte Tradition der »Harmoniemusiken« feiert in diesem Fall fröhliche Urständ:
War es wirklich möglich, daß Lortzings Bühnenwerke, die ich als witzig-geistvolle Musikkomödien geschätzt hatte, inzwischen so rückständig und angestaubt waren, daß sie den Sprung ins 21. Jahrhundert nicht schaffen würden?
fragte der 1956 geborene Andreas N. Tarkmann - und schuf kurzerhand eine zehnteilige, glänzend orchestrierte Fassung der schönsten Nummern aus Lortzings Oper für Bläserensemble. Mit den Stuttgart Winds hat er sie für CD eingespielt.     (cpo)


↑DA CAPO

→ SINKOTHEK