Karl V.

Ernst Kreneks verhinderte Wiener Premiere


Versuch in konzertanter Form bei den Salzburger Festspielen 1980

(Orfeo)

Eine Polit-Groteske verhinderte die Uraufführung eines Auftragswerks der Wiener Staatsoper - eine Ungeschicklichkeit führte zur späten Wiedergutmachung

Als der österreichische Komponist Ernst Krenek im amerikanischen Exil starb, war er der letzte Überlebende einer fernen, bedeutenden Ära der Wiener Musikgeschichte. In seiner Jugend prägten Gestalten wie Karl Kraus, Stefan Zweig, Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg und Alban Berg den »fortschrittlichen« Zweig der österreichischen Kulturszene. Krenek, der »mit dem Jahrhundert ging« war das Nesthäkchen.

Schon in jungen Jahren war er dabei, als man durch die Gründung der Internationalen Gesellschaft für zeitgenössische Musik (1922) daran ging, grenzüberschreitend für das Neue zu kämpfen: So kam er in Kontakt auch mit führenden Komponisten jenseits der Grenze seiner Heimat.

Nesthäkchen der Wiener Moderne

Krenek war in jener Zeit stets der jüngste, sein Name firmierte dennoch auf den Programmzetteln der Festivals für Neue Musik, in Donaueschingen, Salzburg (wo man Neues auf Betreiben von Richard Strauss spielte!).

Jonny spielt auf

Mit 27 Jahren landete Krenek mit seiner Oper Jonny spielt auf einen europaweit beachteten Sensationserfolg: Ein farbiger Jazzmusiker auf der Opernbühne, das war ein Tabubruch in verschiedener Hinsicht; wenn auch der legendäre Zwischenruf eines Wiener Opernbesuchers einen der Protestierenden zur Räson bringen konnte

Wann hat man das erlebt? Ein Neger auf der Bühne der Wiener Staatsoper?

schallte es durchs Auditorium. Worauf prompt ein Kenner zurückfragte:

Waren Sie schon einmal in »Othello«?

Jedenfalls machten die Jazz-Anklänge des Jonny in den Opernhäusern Europas Furore. Man benannte in Wien eine (langlebige) Zigarettensorte nach dem Werk - und Staatsopern-Direktor Clemens Krauss erteilte dem 32-jährigen einen Kompositionsauftrag. Als neues Werk für die Wiener Staatsoper sollte die erste abendfüllende Zwölftonoper der Musikgeschichte entstehen, Karl V.

Handlung

Das spielt in den letzten Tagen Karls V., der als Kaiser abgedankt hat und nun angesichts seines Beichtvaters Juan de Regla im Kloster San Juste die Stationen seines Lebens Revue passieren läßt. De Regla soll beurteilen, ob der Kaiser stets im Sinne Gottes gehandelt habe.

Verhinderte Premiere

Doch als die Partitur vollendet war und man mit den Proben beginnen wollte, war Clemens Krauss nicht mehr Direktor - und unter dem Druck der mehr und mehr radikalisierten Rechten setzte die Staatsopern-Führung das Werk vom Spielplan ab.

Krenek ging ins Exil. Erst spät fand er versöhnliche Worte für seine alte Heimat. Und noch viel später kam es zu einer Ehrenrettung für Karl V., der in der Zwischenzeit kurz vor dem Einmarsch deutscher Truppen in der Tschechoslowakei in Prag zur Uraufführung gekommen, seither aber kaum beachtet worden war. Nach 1945 gab es immerhin in der Nähe Wiens einen Versuch mit dem Werk in konzertanter Form bei den Salzburger Festspielen 1980, leider von Gerd Albrecht recht schlampig exekutiert, aber mit exzellenten Solisten wie Sena Jurinac, Peter Schreier und Theo Adam. Der Mitschnitt wurde von Orfeo auf CD veröffentlicht.

Peinliche Ignoranz

In der kurzen Zeit der Intendanz von Lorin Maazel war beschlossen worden, daß die Wiener Staatsoper wieder einen Kompositionsauftrag vergeben sollte. Die Einladung zur Einsendung neuer Werke ging 1983 auch an Ernst Krenek - man sprach danach von einem Versehen; man hätte den Komponisten als Juror gewinnen wollen.

Jedenfalls reagierte Krenek beleidigt und verwies auf das Uraufführungsversprechen aus den Dreißigerjahren. Man beeilte sich, einen Termin für die Erstaufführung von Karl V. in Wien zu finden und setzte eine Premiere mit prominenten Solisten wie Gundula Janowitz unter der Leitung von Erich Leinsdorf an - Treppenwitz der Geschichte: Lorin Maazel war zum Zeitpunkt der Einlösung dieses Versprechen schon nicht mehr Staatsoperndirektor.

Stilfragen

Ernst Krenek hat öfter noch als Igor Strawinsky drastische stilistische Kehrtwendungen vollzogen. Anders als bei Strawinsky läßt sich jedoch nicht behaupten. daß er dabei eine bestimmte unverwechselbare Handschrift beibehalten hätte. sodaß sich ein spezieller Krenek-Tonfall stets erkennen ließe. Zu unterschiedlich sind die akustischen Erscheinungsbilder von Werken wie dem romantisch-tonalen Liederzyklus Reisebuch aus den österreichischen Alpen oder Versuchen mit elektronischer Musik aus den Fünfzigerjahren.

Die Oper Karl V. nimmt dabei eine Position quasi auf halbem Wege ein und zeigt Krenek als entschiedenen Parteigänger Arnold Schönbergs und dessen »Wiener Schule«. Wie sooft nahm Krenek aber - schon auf Grund der Tatsache, daß er sehr schnell komponierte (und daher auch einen ungewöhnliche reichen Werk-Katalog hinterließ - eine Vorreiterposition ein: Karl V. ist die erste durchwegs zwölftönig komponierte Oper.




↑DA CAPO