*** SINKOTHEK ** PORTRAIT ***

Sir Harrison Birtwistle

(* 15. Juli 1934 in Accrington, Lancashire)

Gespräch über Wohl und Wehe der Postmoderne

„Alles ist möglich", lautet im Zeitalter der Postmoderne die Parole. "Eben das ist unser Problem", kontert Sir Harrison Birtwistle, britischer Komponist der Nachkriegsgeneration, der sich über die künstlerische Orientierungslosigkeit am Ende des Jahrtausends nicht erst Gedanken macht, seit er als etablierter Künstler das Komponieren auch unterrichtet.

"Heute ist ja alles käuflich zu erwerben", sinniert er. "Sie können auf CD jede Musik aus jedem Kontinent zu jeder Tages- und Nachtzeit hören. Das verwischt die Konturen. Es gibt ja keinen musikalischen Nationalismus mehr", an dem man sich orientieren, oder den man verwerfen könnte. Letzteres hat Birtwistle Anfang der fünfziger Jahre getan: "In England gab es ja zunächst die Auseinandersetzung mit der Avantgarde gar nicht. Wir hatten eine Art folkloristische Moderne à la Vaughan- Williams. Ich wußte instinktiv, daß das nicht meine Welt war. Aber erst als ich nach und nach Messiaen und Strawinsky hören konnte, wußte ich: Du bist nicht allein."

Die Polarisierung der fünfziger und sechziger Jahre hat der junge Birtwistle nicht mitgemacht. "Ich bin zwar", kommentiert er, "eher Strawinskianer als Schönbergianer, aber ich habe von beiden etwas für mich verwenden können. Insgesamt halte ich den Serialismus für die wichtigste Umwälzung in der Musik unseres Jahrhunderts. Etwa so wie der Kubismus in der Malerei: die Kunstwelt ist seither nicht mehr dieselbe. Der neue Stil hat auch das verändert, was ihm gar nicht angehört."

Skeptisch blickt Birtwistle auf manche esoterische Strömungen der Postmoderne: "Da gibt es so eine ,neue Spiritualität', etwa bei Gorecki. Für mich ist das sentimentaler Extremismus". Auch der vielzitierten Befruchtung der sogenannten "E-Musik" durch Jazz, Rock oder Pop kann der englische Komponist wenig abgewinnen: "Bei mir werden sie da gar nichts finden. Nicht eine Note. Ich glaube außerdem, daß sich die ,andere Seite', zum Beispiel die Filmmusik, viel mehr von der Klassik beeinflussen läßt als umgekehrt".

Von Kassandrarufen angesichts der stilistischen Orientierungslosigkeit hält Sir Harrison freilich nichts: "Es geht mit der europäischen Dominanz im musikalischen Bereich sicher nicht zu Ende. Es gibt nämlich das wunderbare Ding namens Kreativität. Man darf die Entwicklung auch nicht einseitig als historische Linie sehen, die einmal anfängt und unendlich fortgesetzt werden muß. In Wahrheit beginnt jeder Künstler immer wieder am gleichen Punkt."



Harrison Birtwistles Musiktheater

 

↑DA CAPO