*** SINKOTHEK ** PORTRAIT ***

Birtwistles Musiktheater


.. am Beispiel zweier seiner Opern

Punch and Judy
Die populären Figuren des englischen Kasperltheaters, Punch and Judy, erwachen in Birtwistles 1968 uraufgeführtem Musiktheater zu grotesk-tragischem Leben. Anders als Igor Strawinskys melancholischer Petruschka entwickelt Mr. Punch sich zum brutalen Massenmörder.
Die immer wieder heftig ausartenden Gewaltszenen des traditionellen Puppentheaters für Erwachsene erfahren hier ihre beängstigend  Apotheose.

Birtwistles Oper hat auf Grund dieser ungenieten Offenlegung der niedrigsten Instinkte der menschlichen Natur immer wieder heftigen Widerspruch geerntet, gilt aber andererseits aus demselben Greund vielen Kommentatoren als außerordentlicher Beitrag zum engagierten Musiktheater des XX. Jahrhunderts.

The Second Mrs. Kong Russell Hobans Libretto verlangt dem Publikum gedankliche Umleitungen und Neuorganisationen aller Art ab. Wie die Personen eines Pirandello-Stückes bewegen sich die Figuren auf Pfaden, die geradewegs in die Regionen des Irrationalen führen. Dort weiten sich die Dimensionen; also hat verlangt die Logik Überlegungen in höhere Potenzen.

King Kong, der Filmheld

der dreißiger Jahre, war in der Realität ein niedliches Stoffpüppchen. Im Hades ist Kong entsprechend unglücklich, denn: Wer nie wirklich war, kann auch nicht sterben. Jedenfalls fühlt sich Kong in jener Unterwelt, wie sie sich Hoban und sein Komponist Harrison Birtwistle das vorstellen, nicht wohl. Man kann es ihm nicht verdenken. Denn die ewig wiederkehrenden Aktionen ähnlich prominenter Toter sind enervierend und verleihen der Unterwelt den Charakter eines Tollhauses.

Immerhin: Jan Vermeer hat das Mädchen mit dem Perlohrring gemalt. Das bezaubernde Geschöpf ist auch weltberühmt; und ebenso nur eine Phantasieprodukt wie King Kong. Was liegt also näher, als daß sich diese beiden unsterblichen Ideen ineinander verlieben?
Das leuchtet ebenso ein wie die Logik der Ereignisse auf der Reise Kongs ins Reich der Lebenden, wo er "Perl" treffen möchte: Kong tötet die "unrichtige Annahme" namens "Tod von Kong", klar, denn er kann ja nicht sterben; Orpheus fungiert als Fremdenführer, weil er auf der Route Griechenland-Hades, retour schon Erfahrung hat, verliert dabei freilich seinen Kopf. Auch sonst herrscht an einleuchtend Übersinnlichem kein Mangel.

Daß die "Liebenden" zuletzt von ihrem Spiegelbild an der Vereinigung gehindert werden, und das Werk in einer lang nachklingenden Allegorie von Erinnerung und Vergessen ausklingt, ist die ideale Apotheose dieser Phantasmagorie, die Birtwistles Musik, raunend, webend als ein nie versiegender tönender Styx vorantreibt. Hie und da schwingt sich das tönende Geschehen aus amorpher Massigkeit auch zu klareren Gesten auf, die dann ihre suggestive Wirkung nicht verfehlen.

 

↑DA CAPO