Babylon

Text von Peter Sloterdijk - Musik von Jörg Widmann (München 2012)

Babylon als frühe Probewiese moderner Multikulturalität, ein zivilisatorisch hochgerüstetes System gegen die chthonische Unbeugsamkeit des jüdischen Glaubens - Peter Sloterdijks Libretto erzählt nicht vordergründig von der »Hure Babylon« der Apokalypse, sondern von einem Kulturkampf.

Der mythische Turmbau wird als modernes urbanes Projekt gepriesen - und die Juden revoltieren heftig, aber erfolglos gegen das Menschenopfer: Einer der ihren, Tammu, Vertrauter des babylonischen Priesterkönigs hat sich in die Priesterin Inanna verliebt (eine brillante Koloraturpartie, die bei der Münchner Uraufführung von Anna Prohaska gesungen wurde.)

Deren Gegenbild, Tammus Seele (Sopran), Sinnbild der platonischen Liebe, geht in einem neuen Stern auf. Doch Sterne sind, so Sloterdijk, »nur Löcher im Mantel der Nacht sind, die die verirrte Erde abends überwirft.«

Auch Inannas Liebe geht über die erotische Begierde hinaus. Sie zieht aus, um Tammu aus der Unterwelt zu befreien, entreißt ihn den Fängen des Todes und entschwindet selbst an seiner Seite ins All.

Den Rahmen bilden die Auftritte des Skorpionmenschen, der erkennen muß, gegen die Utopien der urbanen Zivilisation und ihre lauten, unheiligen Zelebrationen (man feiert er durchaus ans Münchner Oktoberfest erinnerndes »Neujahrsfest«) nichts ausrichten zu können. Und doch kommt es zuletzt - nachdem die Menschheit auch eine gigantische Sintflut überdauert hat - zur Einsicht der mündigen Menschen, aus Chaos und Willkür zu einer neuen Ordnung zu finden, zu einem Miteinander ohne Grenzen, wenn auch im Bewußtsein der Gefahren:

Ihr Völker, lernt gefährlich leben. Baut Häuser, die schwimmen, baut Städte, die schweben

Sloterdijk und Widmann spielen mit der Zahl 7, der heiligen Zahl der Babylonier. Die Oper hat sieben Teile, in Widmanns Musik spielt die Zahl 7 eine wichtige Rolle. Zuletzt findet man unter dem »Neuen Regenbogen« zum neuen Bund mit den Göttern und zu einer neuen Zeitstruktur, der Sieben-Tage-Woche.


→ Streichquartette

→ »Jörg Widmann«

↑DA CAPO

→ SINKOTHEK