Gian Carlo Menotti



Goya

Premiere Wien, 2004

Placido Domingo war wieder da. Er spielte Francisco Goya in einer musicalhaften Opernbiografie Gian Carlo Menottis - und Wien jubelte.

Also, Goya ist natürlich übertrieben. Dem Maler-Genie gerecht zu werden bleibt Menottis um 1980 entstandener, netter Oper gänzlich versagt. Allzu plump und ungeschlacht wird da zunächst eine Liebesgeschichte erzählt und dann eine Viertelstunde lang über die Zulässigkeit von Kunst in schweren Zeiten nachgedacht. Das ist vom Gehalt der "Caprichos" und "Desastres de la guerra" so weit entfernt wie eine Cremeschnitte von gutem Bauernbrot.

Aber hie und da verzuckerte Desserts zu sich zu nehmen, gehört zum guten Ton in der großen Gesellschaft. So strömt man zum Ausklang der großen Geschichte des Genres Oper zu einem Nachzügler-Stücklein ins Theater an der Wien. Placido Domingo hat es sich auf den Leib schneidern lassen. Gian Carlo Menotti, der Vollprofi, widmete dem Star eine neue Rolle, die ausschließlich in der Mittellage angesiedelt ist, weder hohe Töne noch sonstige vokale Anstrengungen verlangt und dennoch von Akt zu Akt wenigstens zwei große Szenen bietet, mit denen der Star alle übrigen Mitbewerber ausstechen kann.

Tatsächlich ist es bedauerlich, dass einer Sängerin wie Michelle Breedt, die gestenreich die kokette Herzogin von Alba mimt und sich wie die Maya aus dem Museum auf den Divan streut (Regisseur Kasper Holten hat arrangiert), kaum Gelegenheit geboten wird, ihren schönen Mezzo über längere Strecken zu verströmen. Nur im Duett mit Goya darf diese Muse und Verführerin ausgiebigere Phrasen singen. Sie sind nicht die stärksten, die Menotti je eingefallen sind. Die Zeiten, in denen er mit Werken wie "Der Konsul" oder "Das Medium" in manchen Hörern den Eindruck erweckte, die Operngeschichte könne über Puccini hinaus in harmonische Regionen zu retten sein, sind lang vorbei.

Warum nicht gleich ein Musical . . .

Das Musical hat längst den Rang der Gebrauchs-Oper dieses Zuschnitts eingenommen. Die internationalen Häuser bringen heutzutage viel zu wenige Premieren pro Spielzeit heraus, als dass dergleichen Petitessen, von großen Singschauspielern geadelt, den Spielplan für kurze Frist bereichern könnten. In diesem Sinn ist "Goya" ein Fossil. Immerhin blüht ein zweitaktiges Motiv immer dann auf, wenn es um die Liebe zwischen dem Künstler und seiner adeligen Freundin geht. Also häufig, um nicht zu sagen ununterbrochen. Womit Menotti auf Andrew Lloyd Webbers sparsamen Ein-Melodien-Trick auf seine Weise reagiert.

Die Kunst, melodisch ohne Melodien zu schreiben, ist hier an einem Höhepunkt angelangt. Verdichtet von solidem musikalischem Handwerk, das Allerwelts-Phrasen vom mit echtem Schönklang aufwartenden RSO-Wien (Dirigent: Emmanuel Villaume) auswalzen lässt, wo es lyrisch zugehen muss. Ein paar folkloristische Hispanismen sorgen fürs Kolorit, ein schriller Ton suggeriert Goyas Gehörsturz.

Was sonst noch auffällt, ist theatralische Charakterisierungskunst. Hiezu gehören etwa die hysterischen Anfälle, die Iride Martinez als Königin von Spanien zum Gaudium des Publikums liefert. Sie ist damit die Einzige, die eine Chance hat, gegen Domingos abendfüllende Präsenz zumindest minutenweise anzuspielen. Auffällig noch: die schöne Stimme, die Nadia Krasteva in Miniatur-Rollen hören lässt.

Dass Steffen Aarfings Kulissen beim Herumgeschobenwerden wackeln wie unsere einstigen Puppentheater-Prospekte, passt zum herrlich altmodischen Gesamteindruck dieser Vorstellung, die immerhin den Domingo-Verehrerinnen ihr Idol noch einmal auf eine Wiener Bühne zurückführt. Dafür feierte man an der Wien auch den Komponisten, der's mit seiner tenoralen Reduktionskost möglich gemacht hat, enthusiastisch.

↑DA CAPO