Vanessa
von Samuel Barber
Uraufführung: 15. Jänner 1958
Die Uraufführung von Barbers erstem großen Bühnenwerk war spektakulär: Dimitri Mitropoulos dirigierte das Stück in Starbesetzung an der New Yorker Met. Giancarlo Menotti, der das Libretto geschrieben hatte, inszenierte.
Eigentlich war damals Sena Jurinac als Interpretin der Titelpartie vorgesehen, mußte aber kurz vor der Premiere absagen. Immerhin fand sich mit Eleanor Steber prominenter Ersatz. Die amerikanische Kritik feierte das Stück als »ohne Zweifel beste einheimische Arbeit, die im Metropolitan herausgebracht wurde«.
Schon vor der Premiere war sicher, daß die Produktion im Sommer des Jahres zu den Salzburger Festspielen übersiedeln würde.
Dort galt das Stück in seinem spätromantischen Tonfall als allzu wenig zeitgemäß. Die musikalische Postmoderne ließ noch lange auf sich warten . . .
Die Handlung
Menottis Ibretto erzählt von einer Familie in einem »Land im Norden «; Zeit: um 1905. Vanessa, eine Frau mittleren Alters, immer noch schön, lebt mit ihrer Mutter und der jungen Nichte Erika und wartet seit zwei Jahrzehnten auf die Rückkehr ihres Geliebten Anatol.
Endlich wird seine Ankunft angekündigt, doch stellt sich heraus, daß es sich um den gleichnamigen Sohn, Anatol jr., handelt, einen temperamentvollen, feschen Playboy.
Beide Frauen verlieben sich in ihn, Erika erwartet ein Kind von ihm und verzweifelt, als Vanessa und Anatol Verlobung feiern. Sie erleidet eine Fehlgeburt - und verzichtet daraufhin auf ihre Ansprüche.
Anatol und Vanessa, die an seiner Seite ihre Jugend wieder erlebt, brechtn mit dem Schlitten nach Paris auf, während Erika die Spiegel im Salon wieder verhüllen läßt, wie es ihre Tante getan hatte, als sie auf die »Rückkehr der Liebe« wartete.
Die Musik
Daß die Geschichte sich auf der Bühne nicht ganz so trivial ausnimmt, wie sie im kurzen Abriß sich ausnimmt, liegt an Menottis psychologisch durchaus fein gestaltetem Libretto. Die Musik Barbers ist stilistisch nicht weit von Menottis eigenen Kompositionen entfernt, auch wenn Barber in jener Ära als der führende amerikanische Meister galt. Gemessen an europäischen Verhältnissen der Fünfzigerjahre handelt es sich um ein Mittelding aus Puccini-Revival und Musical-Tonfall.
Für gute Singschauspieler ist Vanessa ähnlich Menottis besten Opern ein dankbares musikalisches Gegenstück zu den »Well Made Plays« im zeitgenössischen Sprechtheater.
Im englischen Sprachraum hatten die Komponisten diesbezüglich keine Berührungsängst. Abgesehen von den Opern Benjamin Brittens erlebten die Fünfzigerjahre mit William Waltons Troillls und CresJlda (1954) und Michael Tippetts The Midsummer Marriage (1955) zumindest zwei Musiktheaterpremieren schlagkräftigerer, vielleicht auch tiefer lotender Kompositionen in diesem Genre.
Die Aufnahme
Im zuge der Premieren-Serie wurde Vanessa für RCA eingespielt: Die Besetzung garantierte dauerhafte Qualität. Ein prominenteres Ensemble als Eleanor Steber, Rosalind Elias, Regina Resnik (die in dieser Zeit vom Sopran zum Mezzo wurde), Giorgio Tozzi und Nicolai Gedda unter Mitropoulos hat sich ja nicht alle Tage für eine Novität auf einer bedeutenden Bühne eingefunden.