Urgewaltig und filigran

1921 - 1994

Nachruf, 10. Jänner 1994
Anestis Logothetis, Wahlwiener mit griechischen Vorfahren und einer der eigenwilligsten Komponisten unserer Zeit, starb mit 72 Jahren in Lainz.


Erst 1989 war er mit dem staatlichen Würdigungspreis für Musik geehrt worden. Bis er am Dreikönigstag des Jahres 1994 seinem Krebsleiden erlag, galt der Bulgare griechischer Abstammung, den es 1942 nach Österreich verschlagen hatte, eigentlich als Außenseiter. Dem großen Publikum blieb er suspekt, weil dieses allen Schöpfern Neuer Musik argwöhnisch begegnet; von den Kollegen aber wurde der AlUhl-Schüler wahlweise mitleidig oder gönnerhaft belächelt, oder gar nicht erst als ernstzunehmender Komponist taxiert.

Anestis Logothetis hat solche Reaktionen geradezu heraufbeschworen. Mit den Reglements, Aus- und Abgrenzungssystemen der diversen "Richtungen" in der zeitgenössischen Musik wollte er nichts zu schaffen haben. Dann schon lieber Eigenbrötler jenseits aller künstlichen Avantgarde-Legislatur.

Selbst die "Zwölftontechnik" hat ihn nur in der Anfangsphase seiner Arbeit interessiert. Bald schon brach er auf zu neuen, ganz eigenen Ufern, sichtete die Möglichkeiten, die ihm die neueste Technik bot, experimentierte mit Elektronik oder Computern ebenso wie mit selbst entwickelten Theorien zu variablen Aufführungsspraktiken. Und er schuf seine private Notenschrift, die geradezu das Gegenteil jener graphischen Praktiken seiner Zeitgenossen war, welche in immer komplizierteren Strukturen ihre Kunstsprachen für "Eingeweihte" herausbildeten.

Logothetis' Schriftzeichen sind hingegen von genialer Einfachheit. Jüngst noch präsentierte er im Rahmen der Kremser Ikonenausstellung auf einer Riesenleinwand seine Strich-, Punkt- und Linienformationen. Und keiner im Saal hätte ihn nicht auf Anhieb begriffen. "Wo ein Klecks ist, muß auch ein Klecks hörbar sein", sagte er. Jeder, der als Kind schon einmal mit dem Ellenbogen auf die Klaviertasten gedrückt hat und wer hätte das nicht getan wußte, welche Klangerfahrungen er meinte.

Stein des Sisyphos

Mit solche Urträumen von "wilder", selbstgenügsamer Musik hat er sich ein Leben lang beschäftigt. Was er sich erträumte und dann phantasievoll "aufzeichnete", konnte jeweils von unterschiedlichsten Ensembles realisiert werden. Und war doch immer Logothetis: laut, massiv und urgewaltig, oder auch ganz filigran. Aber jedenfalls konnte man immer einen Klecks hören, wo einer aufgezeichnet war. Denn selbst das Komplizierteste war bei Logothetis letztlich ganz einfach.

"Der Stein interessiert mich", sagte er, als einer an einer Oper - selbstverständlich einer "ganz anderen Oper" - über den Sisyphos-Mythos arbeitete, der Stein - und nicht der Held, der ihn vergeblich rollt. Er dachte anders. Das war sein Geheimnis.

↑DA CAPO