Symphonie Nr. 3

Henryk Gorecki (1977)

  • Lento. Sostenuto tranquillo ma cantabile
  • Lento e largo. Tranquillissimo – cantabillissimo – dolcissimo – legatissimo
  • Lento. Cantabile semplice

  • Einer der frühesten Beweise für die langsam wieder verschwimmenden Grenzen zwischen der so genannte E- und der sogenannten U-Musik war der unerwartete Erfolg dieser Symphonie aus der Feder des polnischen Komponisten Henryk Gorecki. Der Uraufführung durch die Sopranistin Stefania Woytowicz und das Südwestfunk Orchester unter der Leitung von Ernest Bour folgte zunächst zwar etliche Aufführungen, aber erst eine Wiedergabe durch Dawn Upshaw und die London Sinfonietta unter David Zinman sorgte 1992 für einen Hype. Die in den Siebzigerjahren noch als rettungslos retrospektiv bewertete, reduzierte Klangsprache Goreckis mit ihren bewußten Rückgriffen auf Dur-Moll-Tonalität und Kirchentonarten galt der aufkommenden Postmoderne als zukunftsweisend - und bewies vor allem die genreübergreifenden Gemeinsamkeiten des Stils, wie er in der Filmmusik seit langem gepflegt wurde, im Konzertsaal aber in Zeiten der radikalen Avantgarde verpönt war.

    Mit einem Mal staunte auch das Abonnementpublikum der internationalen Konzerthäuser, daß symphonische Musik wieder schön klingen durfte.

    So wurde diese Dritte Symphonie Goreckis wider alle Erwartungen zu einem der Flaggschiffe der Postmoderne - Komponisten durften sich wieder trauen, weit hinter die »Errungenschaften« der musikalischen Moderne zurückzugreifen und an die Tradition anzuknüpfen. Dabei nivellierten sie auch die technischen Ansprüche, wie sie die Spät- und Spätestromantik gestellt hatte, gegen null. Eine »Neue Einfachheit«, beeinflußt vom amerikanischen Minimalismus mit seinen unablässig wiederholten und nur zögerlich und behutsam veränderten, kleinen Segmenten tendierte auch in Europa bald zu manchmal geradezu aggressiver Simplizität.

    Die meditative Grundstruktur sanft und gleichmäßig psalmodierender Melodien, wie Gorecki sie seiner »Symphonie der Klagelieder« anwendet, wurde zum tönenden Sinnbild einer sanft-monotonen Revolution. Den langsam gesteigerten Klangflächen gesellt sich in allen drei Sätzen jeweils nach langen Aufbauphasen - im Falle des ersten Satzes ein schier endloser, an-, dann wieder abschwellender Kanon auf ein dreitöniges Motiv - die Singstimme hinzu. Die Texte sind religiöse Klagelieder - wobei vor allem der Mittelsatz, auf das Gebet einer jungen, von den NS-Schergen gefangenen Frau, dessen Musik auf einem polnischen Volkslied beruht, die Popularität der Symphonie garantierte.

    Der dritte Satz ist der Klagegesang einer Mutter auf ihren im Bürgerkrieg gefallenen Sohn.


    Die Texte

    I.

    Klage Mariens über den Tod Christi aus dem Heiligkreuz-Kloster (15. Jahrhundert)

    Geliebter, auserwählter Sohn,
    Teile mit der Mutter deine Wunden;
    Hab ich dich doch,
    geliebter Sohn, bewahrt in meinem Herzen
    Und dir stets treu gedient.
    Sprich mit deiner Mutter,
    Um ihr Freude zu bereiten,
    Auch wenn du von ihr gehst,
    Du meine liebste Zuversicht.


    II.

    Wandinschrift im Keller des Gestapo-Gefängnisses Zakopane - Helena Wanda Blasusiakowna, 18 Jahre alt, in Haft seit 25. September 1944

    Nein, Mutter, weine nicht,
    Unbefleckte Himmelskönigin,
    Steh mir allzeit bei.

    „Ave Maria“


    III.

    Schlesisches Volkslied aus der Gegend von Oppeln.

    Wohin ist er gegangen,
    Mein geliebter Sohn?
    Hat ihn wohl im Aufstand
    Der böse Feind erschlagen.

    Ach, ihr schlechten Menschen,
    In Gottes heiligem Namen:
    Warum habt ihr getötet
    Meinen Sohn?
    Niemals wieder
    Wird er mich stützen,
    Auch wenn vor Weinen mir
    Die alten Augen übergehn.

    Würden meine bittren Tränen
    Auch eine zweite Oder schaffen,
    Könnten sie doch meinen Sohn
    Nicht erwecken.

    Er liegt in seinem Grab,
    Und ich weiß nicht wo,
    Obwohl ich die Leute
    Überall ausfrage.

    Vielleicht liegt das arme Kind
    Irgendwo im Graben,
    Und hätte doch liegen können
    In seinem warmen Bett.

    Ach, singt für ihn,
    Gottes kleine Vögel,
    Denn seine Mutter
    Kann ihn nicht finden.

    Und ihr,
    Gottes kleine Blumen,
    Blüht ringsherum,
    Damit mein Sohn
    Ruhig schlafen kann.

    ↑DA CAPO