Spätzündung mit Dauerfolgen

Enescos "Oedipe" im Jugendstiltheater

24. April 1993
Sage keiner, die Plattenfirmen hätten keine Macht. Gerard Mortier hat es in Salzburg längst eingesehen. Junge Wiener Operntruppen nehmen sich an bestimmten Aktivitäten der Konzerne sogar ein Beispiel. Das belebt die Szene. Daß am Donnerstag abend, mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung, die Ödipus-Vertonung des - übrigens in Wien ausgebildeten - Rumänen Georges Enesco zur späten Erstaufführung kam, ist beispielsweise nur einer Plattenaufnahme zu danken.

Vor zwei Jahren kam die prominent besetzte Einspielung auf Compact Disc in den Handel und errang sogleich höchste mediale Aufmerksamkeit. Da sei, hieß es, ein wahres Meisterwerk jahrzehntelang unbeachtet in den Archiven gelegen. Höchste Zeit, daß man sich seiner annähme.

Seither wissen's natürlich alle: "Oedipe" von Enesco ist ein bedeutendes Stück neueren Musiktheaters. Die Namen "Elektra" und "Wozzeck" schwirren im Blätterwald, dicht gefolgt von der Vokabel "Schlüsselwerk". Und die Opernhäuser "nehmen sich an". Berlin kooperiert mit Wien, sodaß "Oedipe" 1997 Einzug in die großen Opernhäuser halten wird - mit einem Jungstar wie Bryn Terfel, der jüngst der sensationelle Wiener Figaro war, in der Titelrolle.

Daß eine der zahlreichen jungen Operntruppen in Wien den Mut hatte, alle diese Aktivitäten zu überholen und Enescos Oper schon jetzt den Wiener Musikfreunden zu präsentieren, verdient selbstverständlich Anerkennung. Sven Hartberger hat mit seinem "Wiener Operntheater" im Jugenstiltheater auf der Baumgartner Höhe das Wagnis auf sich genommen und "Oedipe" in bewußt simpel im "arte povera"-Stil gehaltener, gleichwohl farbenfroher Ausstattung von Nora Scheidl und Claudia Hannemann inszeniert.

Es wäre jetzt leicht, den jungen Opernschatzgräbern im einzelnen nachzuweisen, was alles nicht so aussieht, als wäre es von einer professionellen Truppe um viel Geld arrangiert. Tatsache ist, daß da im intimen Ambiente ein Stück erstmals für Wien zur Diskussion gestellt wird, das jeder Auseinandersetzung längst wert gewesen wäre.

Man betrachtet es lieber als Vorgeschmack auf die kommende Staatsopern-Version, in der selbstverständlich ein ganz anderes Orchester ganz andere Schlüsse aus der farbenprächtigen, von sanft ineinander fließenden, reizvoll changierenden Harmonien getragenen Komposition ziehen wird - als das die "Savaria"-Truppe unter dem freundlich bemühten, soliden Andreas Mitisek vermag.

Dramatik und viel schöne Musik

Man kann dabei sogar manche Sängerleistung wie jene des Titelhelden Dimitri Solovjew genießen, der seiner durchaus mörderischen Partie, vor deren Anforderungen einst der alternde Schaljapin zurückschreckte, mit viel Impetus und sympathischem Engagement Herr wird. Auch John Sweeney (Phorbas), Hiroyuki Ijichi (Le Veilleur) und Wanja Koshucharowa (Antigone) lassen frische oder eindrucksvolle oder eindrucksvoll frische Stimmen hören.

Alle übrigen halten sich tapfer genug, daß der Hörer erkennen kann, wieviel aufregendes dramatisches Potential, wieviel schöne Musik Enesco da in ein Werk zusammengestaut hat. Helga Wagner, als Jocaste recht ordentlich, zieht in der geheimnisvoll raunende Szene der Sphinx im Verein mit Ödipus sogar wirklich beeindruckende Register musiktheatralischer Kunst. In solchen Momenten verdichtet sich auch die orchestrale Leistung, hat auch die Inszenierung durchgehende, durch keine Wackelkontakte aus dem Lot gebrachte Spannung.

Für alle, die ehrlich sind und es jetzt nicht "schon immer gewußt haben", eine Entdeckungsreise auf die Baumgartner Höhe wert!

↑DA CAPO