Musik für präpariertes Klavier
John Cage (1912 - 1992)
John Cages Klaviermusik bedeutete eine echte Revolution in der Musikgeschichte - in klanglicher Hinsicht boten die Sonaten und Préludes tatsächlich Unerhörtes: Töne und Akkordkonglomerate, erzeugt auf nach speziellen Vorgaben »präparierten« Konzertflügeln. Das Klavier wurde hier zu einem speziellen Schlaginstrument, indem die Saiten mit Haushaltsgegenständen belegt und zugeklammert wurden, was erstaunliche Klangwirkungen zeitigte.
16 Sonaten und vier »Zwischenspiele« hat Cage vorgelegt. Jedes einzelne dieser Werke erfordert spezielle Vorbereitungen. In Darmstadt erläuterte der Komponist 1958 seine Methode als »Improvisation«, für die er jeweils neue Objekte wählte, um den Klang der Klaviersaiten zu verfremden, »wie wenn man Muscheln sucht, während man am Strand spazieren geht«.
Wobei die musikalische Form der Sonaten in der Regel an die zweiteilige Struktur der einsätzigen Klaviersonaten Domenico Scarlatti anknüpft. Auch die barocke Klaviersuite dient hie und da als Vorbild, wobei es wie in Arnold Schönbergs Klaviersuite op. 25 sogar zu regelrechten Wiederholungen kommen kann, obwohl derselbe Schönberg solche Reprisenwirkungen eigentlich aus der Musik verbannt hatte . . .
Die Choreographin Bonnie Bird (1914-95) erinnerte sich nach Cages Tod daran, wie die Idee zu den kurios verfremdeten Klavierklängen entstanden war: Sie hatte Cage als Begleiter für ihre Tanzstunden in Seattle engagiert und eines Tages war ein Metallstück versehentlich auf die Klaviersaiten gefallen. Cage sei sogleich besessen von der Vorstellung gewesen, einen solchen Effekt zu künstlerischen Zwecken zu verwenden. Er beschäftigte sich lange damit, wie Schrauben, Nägel oder Gummiteile sicher an den Klaviersaiten befestigt werden konnten und war beglückt über die Tatsache, auf diese Weise ein neues Musikinstrument erfunden zu haben, dessen Klangfarbe beliebig von Werk zu Werk verändert werden konnte. Folgerichtig entstand die erste Komposition für dieses »Präparierte Klavier« für einen der Studenten von Bonnie Bird, die Tanz-Kreation kam 1940 zur Uraufführung.
Der meditative Effekt, den der Zyklus der Sonaten Cages erzielt, basiert, so der Komponist, auf dem Versuch, die Emotionen der indischen Musik zu beschwören. Der östlichen Philosophie zugewandt, suchte Cage nach Möglichkeiten die europäische Musiktradition mit Einflüssen des Ostens zu versöhnen. Die Notenausgabe der Sonaten enthält eine lange Liste der Präparations-Maßnahmen, die vor einer Aufführung an dem Konzertflügel auszuführen sind. Heutige Ausführende kämpfen mit der Schwierigkeit, daß einige der vorgesehenen Objekte gar nicht mehr erhältlich sind. Auch sind die Angaben des Komponisten nicht alle eindeutig genug, um nicht Spielraum für verschiedene Auslegungen offen zu lassen.
Es kann also auch von dieser Musik höchst unterschiedliche Interpretationen geben.
Doch immerhin können Interpreten und Musikwissenschaftler auf die Erfahrungen zurückgreifen, die Maro Ajemian (1924-78) bei ihren Auftritten mit John Cage ab 1946 sammeln konnte. Die gemeinsame Konzert-Tätigkeit begann bereits, bevor der Sonaten-Zyklus beendet war. Erst 1948 zog Cage den Schlußstrich hinter die Partitur.
Erste Aufführungen
1958 spielte Ajemian die Hälfte der Stücke anläßlich einer Cage-Retrospektive, die für Schallplatten mitgeschnitten wurde.
1950 war bereits eine Gesamtaufnahme im Studio entstanden. Die Präparierungsmaßnahmen vor der Konzertaufführung 1958 scheinen besonders liebevoll vor sich gegangen zu sein. Die klanglichen Ergebnisse entsprechen so weit wie möglich Cages Vorgaben.
Nach dem Tod des Komponisten haben sich etliche Pianisten des Sonaten-Zyklus angenommen, mehr als ein Dutzend CD-Aufnahmen erschienen, darunter die günstigste auf dem Label Naxos, gespielt von Boris Berman.
Ein wichtiges Dokument dieses erstaunlichsten Klavier-Experiments der Avantgarde stammt von einer Pianistin, die in den späten Jahren viel mit Cage gearbeitet und den Zyklus auch in seiner Gegenwart aufgeführt hat: Margaret Leng Tan, auch eine Pionierin in Sachen George Crumb, hat eine Aufnahme gemacht, die für DVD aufgezeichnet wurde und überdies viele Details der besonderen Präparations-Maßnahmen sichtbar macht - ein halbes Jahrhundert nach der Ersteinspielung durch Ajemian. Leng Tans Interpretation ist auch auf der → Cage-Gesamtaufnahme zu hören, die auf 34 CDs das gesamte Klavierwerk des Komponisten dokumentiert. (moderecords)