Mieczyslaw Weinberg
Musik trotz und gegen Stalin
15. Juni 2015
Zu den halb vergessenen Komponisten aus dem Reich hinter dem ehemaligen »Eisernen Vorhang«, für die sich der Geiger Gidon Kremer unermüdlich stark gemacht hat, zählt der polnisch-jüdische Meister Mieczyslaw Weinberg.
Den Namen kannten bis vor kurzem nur Eingeweihte. Und doch war Weinberg einer der besten Komponisten der Sowjetunion, auch wenn die kommunistischen Machthaber und ihre willfährigen Helfershelfer das gar nicht gern hörten.
Der Reihe nach.
Das Schicksal teilt er auf zynisch-bittere Weise mit dem gleichaltrigen, aus Krakau gebürtigen → Roman Haubenstock-Ramati, der freilich, anders als Weinberg, nach abenteuerlicher Flucht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Wien landen sollte.
Erst nach Stalins Tod besserte sich die Situation für Weinberg, wenn er auch nie in die Riege der staatlich besonders geförderten Komponisten aufsteigen sollte.
Der Geiger Gidon Kremer, der für viele bedeutende, doch im Westen völlig unbekannte Komponisten aus dem Reich hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang eine Lanze gebrochen hat, kümmert sich nun seit geraumer Zeit um Weinbergs Werk.
Nach einigen stets heftig akklamierten Soloauftritten bündelte er mit seiner Kremerata Baltica anläßlich der Festwochen 2015 mehrere Programme zu einem kleinen Wiener Weinberg-Festival, bei dem innerhalb zweier Tage in mehreren Tranchen Kammermusik, aber auch Symphonisches in kleiner Besetzung vorgeführt wurde.
Auch ein Film über den Komponisten war zu sehen: Am 14. Juni zeigte das Stadtkino im Künstlerhaus den Streifen → Wenn die Kraniche ziehen, danach folgte ein Gespräch im Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus, in dem der damalige Festwochen-Intendant Markus Hinterhäuser mit Gidon Kremer und Weinberg-Kennern über einen wichtigen Aspek in Weinbergs Oeuvre-Katalog sprach: die Filmmusiken.
Zu den bemerkenswerten Aufnahmen der großen Solo-Sonate, die Kremer allenthalben ins Programm nahm, gehört der etwa ein halbes Jahrhundert früher enstandene Livemitschnitt vom Festivals St. Gallen/Steiermark: Da hat der grandiose Geiger Viktor Pikaizen sich für das Werk engagiert - und → eine Aufnahme ist mittlerweile auf CD greifbar.
Der Lebensweg und die musikalische Entwicklung von Mieczyslaw Weinberg werden darin nachgezeichnet; dankenswerterweise weit entfernt vom Fachchinesisch - und auch in politischer Hinsicht unaufgeregt objektivierend.
Daß der von Stalin befehligte Teil der Menschheit nicht weniger schlimm dran war als jener, der in jenen Jahren unter der nationalsozialistischen Herrschaft zu leiden hatte, ist mittlerweile bekannt.
Doch sind es die Zwischentöne, die uns lehren, was in den Köpfen der Künstler damals wirklich vor sich ging.
Es sind auch Zwischentöne, die in der bisherigen Betrachtung der Lage fehlen, schmerzlich fehlen. In einigen der Aufsätze wird auf fesselnde Weise nachgewiesen, wie in der üblichen »Einer schreibt vom andern ab«-Methode fehlende Fakten zu immer aufs Neue wiedergekäuten Feststellungen führen, die der Wahrheitsfindung nicht förderlich sind.
Was wußte der Westen?, heißt einer der Aufsätze in dem Büchlein. Er wirft neues Licht auch auf Persönlichkeiten wie Dmitri Schostakowitsch und Serge Prokofieff und bringt uns - wie nahezu sämtliche der übrigen Beiträge - einen Komponisten von Format erstmals ins Bewußtsein: Mieczyslaw Weinbergs Musik hat vielleicht gute Chancen, in die Spielpläne Eingang zu finden. Seine hiermit zumindest ansatzweise vorliegende Biographie aber verrät uns mehr über die jüngere europäische Geistes- und Kulturgeschichte als manch ausladende Enzyklopädie.
Bibliographie:
Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.)
»Macht der Musik.
Mieczyslaw Weinberg:
Eine Chronik in Tönen«.
208 Seiten, mit CD.
Den Namen kannten bis vor kurzem nur Eingeweihte. Und doch war Weinberg einer der besten Komponisten der Sowjetunion, auch wenn die kommunistischen Machthaber und ihre willfährigen Helfershelfer das gar nicht gern hörten.
Der Reihe nach.
Pole unter sowjetischem Joch
Weinberg kam in Polen zur Welt. In eine jüdische Musikerfamilie in Warschau hineingeboren, begann er schon als Kind zu komponieren. Das nötige technische Rüstzeug, soweit es nicht von den Eltern unterrichtet werden konnte, brachte sich der talentierte Knabe selbst bei.Deutsche Okkupation
Er war gerade 20 Jahre alt, als er vor den deutschen Okkupanten über die russische Grenze in Richtung Osten flüchten mußte. Seine jüngere Schwester verkraftete den beschwerlichen Fußmarsch nicht und kehrte um - Weinberg bleib allein und sah seine Familie nie wieder.Das Schicksal teilt er auf zynisch-bittere Weise mit dem gleichaltrigen, aus Krakau gebürtigen → Roman Haubenstock-Ramati, der freilich, anders als Weinberg, nach abenteuerlicher Flucht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Wien landen sollte.
Unter Stalins Knute
Weinberg blieb in der Sowjetunion, war in Moskau einer der Freunde von Dmitri Schostakowitsch, der - wiewohl selbst immer wieder gefährdet - den Kollegen vor den antisemitischen Verfolgungen der späten Stalin-Zeit zu bewahren wußte.Erst nach Stalins Tod besserte sich die Situation für Weinberg, wenn er auch nie in die Riege der staatlich besonders geförderten Komponisten aufsteigen sollte.
Umfangreiches Schaffen
Was er hinterlassen hat, ist imposant: Mehr als 20 Symphonien, Konzerte, Vokalmusik, aber auch Filmmusik, die immerhin ermöglichte, daß Weinberg ein Millionenpublikum hatte - wenn dieses ihn auch namentlich nicht kannte.Der Geiger Gidon Kremer, der für viele bedeutende, doch im Westen völlig unbekannte Komponisten aus dem Reich hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang eine Lanze gebrochen hat, kümmert sich nun seit geraumer Zeit um Weinbergs Werk.
Nach einigen stets heftig akklamierten Soloauftritten bündelte er mit seiner Kremerata Baltica anläßlich der Festwochen 2015 mehrere Programme zu einem kleinen Wiener Weinberg-Festival, bei dem innerhalb zweier Tage in mehreren Tranchen Kammermusik, aber auch Symphonisches in kleiner Besetzung vorgeführt wurde.
Auch ein Film über den Komponisten war zu sehen: Am 14. Juni zeigte das Stadtkino im Künstlerhaus den Streifen → Wenn die Kraniche ziehen, danach folgte ein Gespräch im Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus, in dem der damalige Festwochen-Intendant Markus Hinterhäuser mit Gidon Kremer und Weinberg-Kennern über einen wichtigen Aspek in Weinbergs Oeuvre-Katalog sprach: die Filmmusiken.
Frühere Botschafter
Schon lange vor Kremer brachten andere Musiker die Werke Weinbergs in den Westen; allerdings mit deutlich weniger Nachdruck.Zu den bemerkenswerten Aufnahmen der großen Solo-Sonate, die Kremer allenthalben ins Programm nahm, gehört der etwa ein halbes Jahrhundert früher enstandene Livemitschnitt vom Festivals St. Gallen/Steiermark: Da hat der grandiose Geiger Viktor Pikaizen sich für das Werk engagiert - und → eine Aufnahme ist mittlerweile auf CD greifbar.
Biographische Details
Bei der Aufarbeitung der jüngeren Kulturgeschichte, soweit sie sich hinter dem Eisernen Vorhang entwickelt hat, hilft eine Publikation wie jene, die als Sonderheft der Monatszeitschrift Osteuropa erschienen ist.Der Lebensweg und die musikalische Entwicklung von Mieczyslaw Weinberg werden darin nachgezeichnet; dankenswerterweise weit entfernt vom Fachchinesisch - und auch in politischer Hinsicht unaufgeregt objektivierend.
Daß der von Stalin befehligte Teil der Menschheit nicht weniger schlimm dran war als jener, der in jenen Jahren unter der nationalsozialistischen Herrschaft zu leiden hatte, ist mittlerweile bekannt.
Doch sind es die Zwischentöne, die uns lehren, was in den Köpfen der Künstler damals wirklich vor sich ging.
Es sind auch Zwischentöne, die in der bisherigen Betrachtung der Lage fehlen, schmerzlich fehlen. In einigen der Aufsätze wird auf fesselnde Weise nachgewiesen, wie in der üblichen »Einer schreibt vom andern ab«-Methode fehlende Fakten zu immer aufs Neue wiedergekäuten Feststellungen führen, die der Wahrheitsfindung nicht förderlich sind.
Was wußte der Westen?, heißt einer der Aufsätze in dem Büchlein. Er wirft neues Licht auch auf Persönlichkeiten wie Dmitri Schostakowitsch und Serge Prokofieff und bringt uns - wie nahezu sämtliche der übrigen Beiträge - einen Komponisten von Format erstmals ins Bewußtsein: Mieczyslaw Weinbergs Musik hat vielleicht gute Chancen, in die Spielpläne Eingang zu finden. Seine hiermit zumindest ansatzweise vorliegende Biographie aber verrät uns mehr über die jüngere europäische Geistes- und Kulturgeschichte als manch ausladende Enzyklopädie.
Bibliographie:
Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.)
»Macht der Musik.
Mieczyslaw Weinberg:
Eine Chronik in Tönen«.
208 Seiten, mit CD.