Violinkonzert Nr. 1

Beide Violinkonzerte von Karol Szymanowski gehen auf die Anregung des polnischen Geigenvirtuosen Pavel Kochanski zurück.

Das erste entstand zur gleichen Zeit wie die groß angelegte Dritte Symphonie, ist aber von vollommen gegensätzlichem Charakter. Kochanski spielte das Werk erst 1917 in St. Petersburg. Die Uraufführung fand ein Jahr davor in Warschau mit Józef Oziminski als Solisten statt. Kochanski war zu diesem Zeitpunkt in den USA auf Tournee.

In Wien stellte Bronislaw Huberman das Werk 1926 vor.

Das Werk

Szymanowski sprach gegenüber Freunden von seiner Absicht, in diesem Konzert seine nun voll entwickelte, ureigene Klangsprache mit der klassischen Formenwelt verknüpfen zu wollen. Tatsächlich scheint das in einem großen Satz ablaufenden Werk auf der Struktur der viersätzigen Symphonie zu basieren. Kochanski steuerte eine ausführliche, äußerst anspruchsvolle Kadenz bei, die der Komponist unmittelbar vor Ende des Werks einfügte.

Unverwechselbar klingt der Konzert-Beginn, wenn sich die Solostimme in virtuosen Art-Deco-Girlanden über einem impressionistisch zarten Klanggewebe des Orchesters ergeht. Die koloristische Technik nähert sich hier den vielfach changierenden Instrumentations-Farbaufträgen an, wie sie Maurice Ravel etwa im Lever du jour seiner Ballettmusik Daphnis und Chloe praktiziert.

Das Gedicht »Mainacht«

Daß Szymanowski sich zu seinem Violinkonzert von Tadeusz Miciriskis Gedicht Mainacht aus dem Zyklus Sternendämmerung inspirieren ließ, wollte er nicht als programmatisches Konzept für Einführungstexte genutzt wissen. Seine formalen Vorstellungen gingen über die bloße Illustration und Stimmungsmusik weit hinaus.

Immerhin kann die Kenntnis des Gedichts zum Grundverständnis der Stimmungswelt der Musik beitragen.

Micirinski beschwört die Utopie eines Arkadien, in dem Amors Pfeile und der Klang der Panflötentöne Verwirrung der Seelen stiften, doch die Natur sich selbst in höherer, ungestörter Harmonie feiert. Doch bleibt kein Zweifel, daß solche Visionen von einem göttergleichen Dasein des Menschen illustionistisch bleiben müssen, solange in der realen Welt der Tod regiert.


Christian Tetzlaff und den Wiener Philharmonikern unter Pierre Boulez gelang eine exzeptionelle Aufnahme dieses Werks, die Szymanowskis Farben in aller Pracht funkeln läßt, aber an struktureller Klarheit nichts zu wünschen übrig läßt. Die Koppelung mit der zeitgleich entstandenen Dritten Symphonie bietet überdies eine ideale Möglichkeit, die Bandbreite von Szymanowskis Stil zu studieren. (DG)

↑DA CAPO