Szymanowskis Streichquartette
Streichquartett Nr. 1 (1917)
Szymanowskis erstes Quartett entstand im Sommerhaus der Familie im heute ukrainischen Tymoszova - mitten in den Wirren der russischen Revolution, die bald auch über ukrainisches Territorium fluteten. Die Szymanowskis mußten ihr Domizil für immer verlassen. Von den Zeitumständen gibt sich das Werk unbeeinflußt - es beginnt geradezu mit einer artifiziellen Beschwörung alter musikalischer Klangwelten; mehr als einmal haben Kommentatoren die dreiklangbetonten Anfangstakte mit vorbarocker Chorpolyphonie verglichen.
In den beiden Anfangs-Sätzen schwebt die erste Geige oft in höchsten Höhen über dem Geschehen und führt die über weite Strecken extrem gesanglich ausgerichteten, melodiebetonten Entwicklungen an, die mit puslierend-energetischen Passagen alternieren.
Der Mittelsatz basiert auf einem Lied-Thema, das Szymanowski schon 1916 während eines sommerlichen Spaziergangs eingefallen war und das er nun zu einem schwebend-irrlichternden Nocturne verarbeitet. Das ursprüngliche Konzept Szymanowskys sah eine viersätzige Struktur für das Werk vor. Es sollte mit einer Fuge beendet werden. Doch beließ es der Komponist bei der Dreisätzigkeit und schloß mit dem burlesken Scherzo, in dessen Exposition er ein Experiment mit der damals allseits diskutierten Polytonalität wagt: Jedes der vier Instrumente präsentiert das Thema in einer anderen Tonart: Violine 1 in A-Dur, Violine 2 in Fis-Dur, die Bratsche in Es-Dur und das Cello in C-Dur. Als motivisch bedeutsam entpuppen sich bald die Tonrepetitionen der rhythmisch pointierten Eingangsgeste des Satzes, der eine deliranten Zuspitzung der Ereignisse mündet, ehe sich die Musik wie ein Elfenspuk ins Nichts verabschiedet.
Streichquartett Nr. 2 (1927)
Voll Poesie ist das ebenfalls dreisätzige Quartett Nr. 2, das zehn Jahre nach dem ersten entstand, das Szymanowski nicht mehr gelten lassen wollte. Szymanowskis charakteristischer, zwischen impressionistischer Farbgebung und expressionistischem Ausdruckstreben balancierender Personalstil ist hier voll entwickelt. Wie das Vorgängerwerk hebt auch das neue Quartett mit zartesten, entrückten Klängen an, die freilich diesmal die gesamte Komosition dominieren, vor allem im Kopfsatz aber wiederholt mit schmerzlich-grellen Ausbrüchen kontrastieren.
Diesmal steht der Scherzo-Satz im Zentrum, tänzerisch bewegt, in den Außenpartien dissonant wie rhythmisch scharfkantig, ja zuweilgen aggressiv - verwandt nicht nur mit vergleichbaren Momenten in den Quartetten von Béla Bartók, sondern vor allem mit Szymanowskis eigener Ballettmusik Harnasie, die etwa zur selben Zeit enstanden ist.
Das Fugen-Finale, im ersten Quartett nur geplant, wird in Nr. 2 realisiert, allerdings als »langsamer Satz«, lyrisch-versonnen im Hauptteil, aber bald überwuchert von dramatischen Stimmungen, die zuletzt für eine stürmische Schlußgeste sorgen.
CD-Empfehlung
2014 hat das polnische Meccore-Quartett Aufnahmen der beiden Quartette vorgelegt, die behutsam zwischen subtil abgemischter Koloristik und brisante Zugriff in den dramatischen Passagen balanciert und sinnvoll mit dem Debussy-Quartett zu einer stimmigen CD-Programm ergänzt wurden. (Warner)