Die Klavierkonzerte
Allegro moderato
Lento
Moderato
Allegro con brio
Prokofieff war noch Student am Petersburger Konservatorium, als er 1911 sein Erstes Klavierkonzert Des-dur op.10 komponierte. Das Stück ist zwar in kleinere Sinneinheiten gegliedert, aber in einem pausenlosen Satz gearbeitet. Er selbst meinte, sich mit dem genialen Wurf von den akademischen Fesseln freigemacht zu haben und schrieb:
Es ist mein erstes mehr oder weniger reifes Werk, denn es entwickelt eine neue Vorstellung vom Klang und eine innovative Form ... durch die Aufeinanderfolge einzelner Episoden, die ... aber innerlich zusammenhängen.Wie wenig später Paul Hindemith generiert Prokofieff aus den perkussiven Möglichkeiten seines Instruments einen neuen Spiel-Stil, der auch auf den Tonfall der Musik abfärbt. Francis Poulenc nannte den groß aufrauschenden Konzert-Beginn »eine Art athletischen Jubelgesang«.
Dieser rondoartig wiederaufgenommene Jubelgesang wird von zwei »Episoden« gegliedert, die Profkoifeffs lyrische Qualitäten demonstrieren, fantastisch improvisatorisch die eine - im Sonatenschema wäre sie als »Seitensatz« zu verorten, versonnen introvertiert die andere. Sie stellt den »langsamen Satz« des Konzerts dar, während der zentrale, pulsierende Abschnitt des Werks in der kühn-vexierbildhaften Formkonzeption des Komponisten gleichzeitig die Stelle der Durchführung, aber auch des Scherzos einnimmt.
Von den (nicht gerade zahlreichen) Gesamtaufnahmen der fünf Prokofieff-Konzerte ist vielleicht jene durch Wladimir Krainev und da RSO Frankfurt unter Dmitri Kitaenko die konsistenteste. Jedenfalls enthält sie eine der beiden wirklich vollständig beherrschten und musikantisch befriedigenden Wiedergaben des Des-Dur-Konzerts. Krainev spielt glasklar und deutlich artikulierend, ohne Prokofieffs Talent zu geschmeidig-melodischer Linienführung aus den Augen zu verlieren, was vor allem während des hymnisch aufrauschenden Beginns und im Finale von Bedeutung ist. Die motorisch-perlenden Passagen meistert Krainev, vom Orchester übrigens eines Sinnes unterstützt, in allen Aggregatzuständen von filigran bis messerscharf perfekt.
Die »andere« Aufnahme stammt übrigens von Martha Argerich - und wird bei Konzert Nr. 3 besprochen.
Andantino
Scherzo. Vivace.
Intermezzo. Allegretto
Finale. Allego tempestoso
Größere Tiefe suchte Prokofieff gegen die Jongleur-Künste seines Konzert-Erstlings im g-Moll-Konzert von 1913. Er war immer noch Zögling des Konservatoriums, als er sein Werk in St. Petersburg aus der Taufe hob. Er selbst saß am Klavier und ein Zuhörer rief, als empört er den Saal verließ:
Aber das ist ja ein wildes Tier!
Dabei verschweigt sich der Lyriker Prokofieff hier nicht. Allein, aus dem geheimnisvoll raunenden, melodisch weit geatmeten Beginn schält sich nach und nach ein kraftvoller, sich dramatisch zuspitender Dialog zwischen dem Soloinstrument und dem Orchester heraus. Den Höhepunkt des Satzes markiert eine wilde, die Elemente des Hauptthemas geradezu hysterisch beschwörende Solokadenz, über die zuletzt die Reprise des Anfangsthemas schicksalhaft hereinbricht.
Prokofieff definiert aber nicht nur die »Sonatenform« in diesem Kopfsatz neu, sondern gibt seinem Konzert über alle vier Sätze hin neue Strukturen. Der zweite Satz nimmt die Stelle eines Scherzos ein und gibt sich, für diesen Komponisten typisch, als motorisches Perpetuum mobile. Der dritte schockiert das Publikum bis heute am meisten: Wer unter dem Titel Intermezzo ein ruhiges, beschauliches Zwischenspiel vermutet, sieht sich mit einem stampfenden, keuchenden orchestralen Ungetüm konfrontiert, dem ein streng geliedertes, durch lyrische Elemente unterbrochenes, aber insgesamt dissonant-schrilles Finale folgt. Die beseelte Melodik des Konzertbeginns kehrt in keinem Moment der Komposition wieder.
Nicht viele bedeutende Pianisten haben sich dem g-Moll-Konzert gewidmet, jüngere Aufnahmen stammen von Jewgeni Kissin (Philharmonia/Ashkenazy) und Daniil Trifonov (Marinskij/Gergiev), eine grandiose Einspielung verdanken wir dem viel zu wenig beachteten Kubaner Horacio Gueiérrez, der mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orchester unter Neeme Järvi auch die zarteren Farben der Partitur herausarbeitet und und die sich verwickelnden Stimmen der großen Kadenz im Kopfsatz - wie auch die Hochgeschwindigkeits-Läufe im Scherzo - bewundernswert unter Kontrolle behält.
Allegro
Andante
Allego
Das meistgespielte Prokofieff-Konzert entstand parallel zur Symphonie classique und nimmt den geklärten Tonfall dieses Werks auf - wohl als bewußte Antithese zu den revolutionären Umtrieben des Jahres 1917, die Rußlands alte Welt aus den Angeln hob. Der Komponist lebte bereits im französischen Exil, als er das Konzert 1921 vollendete. Die Uraufführung spielte er selbst nach der Überfahrt in die »Neue Welt« in Chicago (16. Oktober 1921).
Das Werk war eine Sensation und wurde bald auch in Europa gefeiert, wo Prokofieff auch der Solist der Pariser Erstaufführung war, die Kollegen wie Ravel, Honegger und Poulenc begeistert miterlebten.
Die dissonante Harmonik des Vorgängerstücks klärt sich hier auf den »weißen Tasten« der C-Dur-Tonleiter, Profofieffs Fortschrittlichkeit äußert sich nun weniger harmonisch als in seiner humorvollen, ungemein geistreichen Wiedergewinnung klassischer Klarheit, gefiltert durch die Abenteuer der »Moderne«. Die wirbelnde Bewegung, mit denen der Solist dem lyrisch-beschaulichen Klarinettenthema der Einleitung antwortet, bleibt dem Kopfsatz durchwegs treu. Der brillant-virtuose Ansatz wird auch im ruhig beginnenden Mittelsatz beibehalten: Die Variationen des schlichten Themas nehmen in theatralischer Inszenierung die erstaunlichsten Charaktere an. Im Finale spielt Prokofieff dann mit der modischen sogenannten »Bitonalität«, wobei das Spielerische Element, das den Hörer die harmonischen Jongleurs-Akte mitvollziehen läßt, durchwegs überweigt. Dem klassischen Prinzip des »Concertare« bleibt Prokofieff hier treu wie nirgendwo sonst in seinem Werk: Etliche Solostimmen aus dem Orchester finden Gelegenheit zu ihrer »großen Szene«.
Nicht von ungefährt ist dieses Konzert das einzige aus der Serie der fünf einschlägigen Werke Prokofieffs, das die klassische dreisätzige Form beibehält.
Zwei herausragende Aufnahmen dieses Konzerts stammen von Pianistinnen: Dame Muoura Lympany hat es (zusammen mit dem Ersten Klavierkonzert) mit dem Philharmonia Orchestra unter Walter Susskind Mitte der Fünfzigerjahre aufgenommen, brillant, dabei unaufgeregt und sicher, erfüllt von einem lichten, positiven Grundton.
Martha Argerich hat dieses Konzert immer wieder gespielt und die ganze Spannweite zwischen inniger Empfindung und groteskem Grimassieren souverän durchmessen.
Vivace
Andante
Moderato
Vivace
Dem vierten Klavierkonzert kommt insofern eine Sonderstellung zu, als es für die linke Hand komponiert wurde - über Auftrag des Wiener Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte und nun als Erbe der Stahl-Barone Wittgenstein – sein Bruder war der berühmte Philosoph Ludwig Wittgenstein – Aufträge an die Creme der zeitgenössischen Komponisten vergab. Berühmteste Frucht auf dieser Bestell-Liste wurde das D-Dur-Konzert von Maurice Ravel, doch Wittgenstein hatte auch Meister wie Richard Strauss, Erich Wolfgang Korngold oder (am öftesten) Franz Schmidt beauftragt aber auch im Auffinden der jüngsten Talente eine gute Hand bewiesen: Für die linke Hand komponierten auf Wittgensteins Wunsch auch der junge Benjamin Britten, Paul Hindemith und eben Prokofieff, den dasselbe Schicksal ereilte wie Hindemith: Wittgenstein übernahm die Partitur, bezahlte und ließ das Stück, an dem er mit der Bezahlung die alleinigen Aufführungsrechte auf etliche Jahre erworben hatte, liegen. Hindemiths Komopsition kam erst nach Jahrzehnten wieder ans Licht.
An Prokofieff schrieb Wittgenstein:
Ich danke Ihnen für Ihr Konzert, aber ich begreife nicht eine einzige Note davon und werde es nicht spielen.Prokofieff mußte die Partitur später rekonstruieren. Zur geplanten Umarbeitung für zwei Hände kam es nicht. Er hat das Werk nie gehört. Es kam erst nach seinem Tod in Ost-Berlin zur Uraufführung.
Die seltsam retardierte Rezeptions-Geschichte hat die Verbreitung des originallen Werks ebenso verhindert wie die Tatsache, daß sich für die linkshändige Literatur wenige willige Interpreten finden. Der junge Yefim Bronfman hat mit Zubin Mehta und Israel Philharmonic Anfang der Neunzigerjahre eine brillante Aufnahme des Stücks gemacht - gekoppelt mit der etwas geklärten Zweitfassung des Konzerts Nr. 2 - die nicht nur den toccatenartigen Bewegungsmustern der Ecksätze, sondern auch dem verträumten Andante, das sich in weite Fernen zu verlieren scheint, Gerechtigkeit widerfahren läßt. Vom ersten Satz hatte der Komponist selbst gesagt, er sei »vor allem auf die Zurschaustellung der Fingerfertigkeit« ausgerichtet. Erst im dritten Satz liefert Prokofieff in diesem Fall einen dem Sonaten-Schema angelehnten »Hauptsatz« wie man ihn am Beginn eines Klavierkonzerts erwarten würde, ehe das knappe Finale die Bewegungs-Lust des Eingangs-Vivaces wieder aufnimmt und geradezu ins Verspielte wendet: Dieser vierte Satz ist durchwegs in flüsterndem ‚Piano‘ gehalten.
Allegro
Andante
Allego
Die virtuosen Herausforderungen in Sachen Geläufigkeit und Sprungtechnik nehmen in Prokofieffs letztem Klavierkonzert schaustellerische Formen an. Fünf kurze Sätze, von denen die ungradzahligen die schon in den früheren Konzerten punktuell gefoderte Rasanz fordern - der Mittelsatz, »Toccata«, nennt das Ding endlich beim Namen - bringen unterschiedliche Spielarten des sogenannten »Neoklassizismus« ins Spiel. Der Aufgabe stellte sich Prokofieff skrupulöser als der mehrheitlich spielerische Tonfall des Werks ahnen läßt:
in seinen autobiographischen Aufzeichnungen: „Ich hatte über bestimmte Techniken nachgedacht ... und schließlich in meinen Skizzenheften eine Fülle hübscher Themen gesammelt ... strebte zum einen nach Einfachheit, andererseits fürchtete ich jedoch - und vor allem - diese Einfachheit unversehens in bloße Wiederholungen verbrauchter Formeln umschlagen, in einer Art altersschwache Baufälligkeit, die bei einem »modernen« Komponisten ja problematisch wäre...
Geradezu zynisch bringt Prokofieff mit diesen wenigen Zeilen die problematische Position der Künstler seiner Generation auf den Punkt. Das G-Dur-Konzert gibt eine Antwort von unverwechselbar prokofieffschem Zuschnitt. Die simple Miene, die das Konzert aufzusetzen scheint, täuscht: Wer nicht genau aufpaßt, verliert hier den Anschluß. Was mit Unschuldmiene verkündet wird, zeitigt oft die erstaunlichsten Folgen. Bei aufmerksamem Hören werden dem Publikum auch nicht die inneren Bezüge entgehen: So beginnt die Toccata wie eine Variation des Eingangs-Satzes, treibt dessen Bizarrerie aber bald auf eine noch viel erstaunlichere Stufe clownesker Kunstfertigkeit. Und das Finale, das auch als eine raffinierte Parodie auf klassische Prinzipien gehört werden kann, macht unvermittelt Halt, um einem sinnend-stillen Moment Platz zu machen, ehe Orchester und Solist gemeinschaftlich springlebendig dem Schluß zueilen.
Prokofieff selbst war wieder der Solist der Uraufführung die am 31. Oktober 1932 mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung Wilhelm Furtwänglers stattfand. Er spielte sein Fünftes bald danach auch in Moskau und Leningrad, um seine »Heimkehr« nach Rußland musikalisch zu zelebrieren - nicht ahnend, daß die freche Stilistik seines letzten Konzerts von den sowjetischen Kulturpolitikern bald als unerwünscht gebrandmarkt werden würde.
Die → klassische Schallplattenaufnahme dieses Werks hat Swjatoslaw Richter mit den Warschauer Philharmonikern unter Witold Rowicki gemacht, eine Wiedergabe, den den dstanziert-artifiziellen Tonfall trifft und nicht nur pianistisch von souveränem Zugriff ist.