Udo Zimmermann

1943 - 2021

Als Europa noch politisch in eine östliche und eine westliche Hemisphäre geteilt war, förderte die Frage nach dem sprichwörtlichen Puls der Zeit in Sachen Musiktheater höchst unterschiedliche Antworten zutage. So staunte man in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren nicht schlecht, wenn man - etwa im Rahmen von Gastspielen - mit Dingen konfrontiert wurde, die man jenseits des Eisernen Vorhangs für fortschrittlich hielt. Westliche Kommentatoren hielten damals so wenig vom hyperrealistischen Theater eines Harry Kupfer wie von den zeitgenössischen Opern, die aus der DDR importiert wurden. Man schickte sie samt und sonders mit gleicher Post wieder zurück.

Diese Stücke klangen nicht so, wie die Kritiker forderten, daß zeitgenössische Opern zu klingen hätten. Mittlerweile hat sich, abgesehen vom Hang zum Regietheater-Mutwillen, allerhand zum Besseren gewendet. Der Eiserne Vorhang wurde hochgefahren, und die Herren vom Feuilleton mit den avantgardistischen Scheren im Kopf sind längst in Pension gegangen.

Mit dem Strom, gegen den Strom

Das Publikum würde sich glücklich schätzen, wenn Harry Kupfer noch inszenierte. Und man könnte ungestraft Opern der damals führenden ostdeutschen Komponisten auch hierzulande zur Uraufführung bringen. Diese waren so unterschiedlich, wie sie innerhalb des vom Publikum noch willig akzeptierten stilistischen Rahmens nur sein konnten. Siegfried Matthus war einer der Federführer, Rainer Kunad ein Komponist, der sich auf spannende und vergleichsweise avancierte, aber dramaturgisch effektsichere Theatermusik verstand. Seine van-Gogh-Oper Vincent lernte man in Wien anläßlich derselben Festwochen-Stagione kennen wie Udo Zimmermanns Schuhu und die fliegende Prinzessin.

Zimmermann war es dann, der sich unter den viel beschäftigten Komponisten der DDR als der quirligste, eloquenteste von allen profilieren konnte. Dass er einer war, der - auch gedanklich - stets im rechten Moment am rechten Ort stand, hatte er früh bewiesen: 1963 komponierte der einstige Zögling der Dresdner Kreuzschule und Assistent Walter Felsensteins quasi zu seinem Einstand eine Dramatische Impression auf den Tod von J. F. Kennedys.

Zimmermann konnte denn auch zumindest zeitweise im Westen reüssieren. Dort sprach sich unter Dramaturgen bald herum, daß ihm (und seinem Bruder Ingo als kongenialem Librettisten) mit der → Weißen Rose eine packende Kammeroper über die Münchner Widerstand-Geschwister Hans und Sophie Scholl gelungen war, die dank ihrer kleinen Besetzung und der eingängigen Faktur der Musik ohne großen Aufwand, aber mit Erfolgsgarantie produziert werden konnte. Die Vorlage war ja überdies »hüben und drüben« genehm.

Welch gediegener und selbstkritischer Handwerker Udo Zimmermann war, mag man daran ablesen, dass er dieses Werk anläßlich einer Neuproduktion Mitte der Achtzigerjahre noch einmal gründlich überarbeitete - so gründlich, daß beinah eine neue Komposition daraus geworden ist.

Da war Zimmermann längst im Westen gelandet. Er leitete die Studiobühne der Bonner Oper, an der er sich für Neue Musik jeglicher Couleur engagierte. Dass er nicht nur für sich selbst ein akribisch-raffinierter Organisator war, machte ihn zu einem berufenen Intendanten.

Nach der Wende war Zimmermann als "Heimkehrer" Leiter der Oper in Leipzig. Er zeigte sich nie verlegen um ein Statement, wenn es darum ging, der Kultur und hier wiederum vor allem der Musik zu höherem Ansehen und noch höheren Subventionen zu verhelfen. Mit diesen Mitteln ließ sich dann allerhand für die Zeitgenossen tun. Dass er dabei nie in eigener Sache gefördert hat, ist Zimmermann hoch anzurechnen, auch wenn er der Verbreitung seiner brillant gebauten, wirkungsvollen Opern im Wege gestanden sein mag.

Gediegenes für den »Kanon«

Apropos Kupfer-Inszenierungen: Wer sich an die Gastspielaufführung des "Schuhu" im Theater an der Wien erinnert, wer die für das Festival von Schwetzingen komponierte Lorca-Oper Die wundersame Schustersfrau in Betracht zieht, der weiß, dass bei der Erstellung eines tauglichen Repertoires von Werken des 20. Jahrhunderts noch lang nicht das letzte Wort gesprochen ist. Udo Zimmermanns OEuvrekatalog hätte zum Kanon einiges beizutragen.

In den vergangenen Jahren war der Komponist durch eine schwere neurodegenerative Erkrankung mehr und mehr in seiner Tätigkeit gehemmt. Musik konnte er nicht mehr schreiben, nur das Hören bereitete ihm noch Freude. In der Nacht auf Freitag ist Udo Zimmermann 78-jährig in seiner Heimatstadt Dresden gestorben.

↑DA CAPO