Fratres
Arvo Pärt, 1977/1989
»Unendlichkeit und Keuschheit« wolle er finden, so bekannte Arvo Pärt in einem Interview im Jahre 1978. Damals galt seine Reduktion auf schwebende, scheinbar bewegungslos stehende Klänge als revolutionär, als radikale Antithese zu den konstruktiven Experimenten der musikalischen Moderne. Pärt setzte damit unbewußt Signale für den weltweiten Aufbruch in eine »Postmoderne«, die auch die Besinnung auf die Schönheit und Bedeutung des einzelnen Tons - und dessen natürliche Begleiter in Form der Obertonreihe förderte. Für Pärt bestimmend blieb
die komplexe, aber reiche, sonore Masse an Obertönen im Glockenklang, das allmähliche Entfalten von Mustern im Klang selbst und die Idee eines Klangs, der zugleich statisch und fluktuierend ist.
Für den aus dieser Ästhetik resultierenden, von Pärt sogenannten »Tintinnabuli-Stil« repräsentativ waren die Fratres, die nicht zuletzt durch die konsequenten Aufführungen durch den Geiger Gidon Kremer weltweit berühmt und geradezu zu einem Kult-Stück wurden.
Über liegenden Tönen und einem Trommelmotiv aus Quinten entfaltet sich eine Reihe von zuerst ab- dann aufsteigenden Akkorden. Diese Akkordfolge erklingt neun Mal, immer wieder durch das Trommelmotiv gegliedert. Was ungeheur simpel und meditativ klingt, folgt einem mathematischen Bauplan, der immer wieder zu tiefgründigen analytischen Überlegungen der Musikwissenschaft geführt hat. Für den Hörer sind solche Darstellungen völlig irrelevant. Sie belegen lediglich, daß Pärt nicht frei einem fantastischen Plan, sondern peniblen architektonischen Überlegungen folgte, die seinem Werk im Innersten Halt verleihen.
Die Originalfassung von Fratres entstand 1977 für Streichqzintett und Bläser. In der Folge entstanden etliche Versionen für unterschiedlichste Besetzungen. Gidon Kremer machte die Fassung für Violine und Klavier zu einem Welterfolg und hat sie mit Keith Jarret Anfang der Achtzigerjahre auch für Schallplatten eingespielt. Diese CD bildete die Grundlage eines regelrechten Pärt-Kults, der quer über die musikalischen Stilrichtungen die Musikwelt erfaßte.