Albert Roussel

1869 - 1939

Er war einer der vielseitigsten Komponisten der Ära um 1900. Interessiert an allen Möglichkeiten musikalischer Innovation, übte sich Albert Roussel in sämtlichen Stilen seiner Zeit. Als begabten jungen Mann schickte man ihn 1884 nach Paris, wo er am Collège Stanislas studierte. Er machte Karriere bei der französischen Marine, wo er es bis zum Leutnant brachte. Den Nahen Osten bereiste er ebenso wie China, quittierte aber 1894 den Dienst, um sich in Paris ernsthaft der Musik zu widmen.

1898 trat er in die Schola Cantorum ein, um bei Vincent d'Indy zu studieren. Vier Jahre später war er so weit, die Kontrapunktklasse zu übernehmen. Eine ganze Generation von französischen Komponisten ging bei ihm in die Lehre, darunter Eric Satie, Edgard Varèse, aber auch Gäste aus dem Ausland, deren prominentester war Bohuslav Martinů.

Die ersten Reifewerke, die Erste Symphonie und das Chorwerk Evocation haben viel mit den gleichzeitig entstandenen Werken der beiden führenden Impressionisten Debussy und Ravel zu tun. Mit der Ballettmusik zu Le festin d’araignée erreichte er als Instrumentator die höchste Finesse.

Während des Ersten Weltkriegs beschäftigte sich Roussel mit seiner von indischen Quellen gespeisten Ballett-Oper Padmâvatî, einem Werk, in dem die harmonische Sprache komplexer und fortschrittlicher wird. Zwischen 1918 und 1925 entstanden in dieser Linie die Zweite Symphonie und die Oper La naissance de la lyre sowie die Zweite Violinsonate.

Danach verknüpfte Roussel die avancierten harmonischen Techniken mit einer am Neoklassizismus ausgerichteten, die Tonalität wieder in ihr Recht setzenden Stilistik, womit er seine ureigene, unverwechselbare Sprache gefunden hatte.

Die Ballettmusik Bacchus et Ariane und die Symphonien Nr. 3 und 4, das Streichquartett und das Streichtrio zeigen ihn auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, rhythmisch voller Elan, harmonisch reich und als Kontrapunktiker souverän. An den Folgen eines Herzinfarkts starb Albert Roussel am 23. August 1937 in Royan. Beigesetzt wurde er auf seinen Wunsch »mit Blick aufs Meer«.

Die Symphonie Nr. 3

1929/30 komponiert, gehört die Dritte Symphonie zu jenen Werken, die das Boston Symphony Orchestra zur Feier seines 50jährigen Bestehens bei bedeutenden Komponisten in Auftrag gab. Roussels Werk steht also in einer Linie mit Strawinskys Psalmensymphonie, der Konzertmusik für Streicher und Blechbläser von Paul Hindemith, Prokofieffs Vierter und Honeggers Erster Symphonie.

Chefdirigent Serge Kussewitzky stand am Pult, als Roussels Dritte im Oktober 1930 zur Uraufführung kam. Das Werk zeigt Roussels unverwechselbare Verknüpfung von Neoklassizismus und scharf geschliffener Harmonik.

Der rhythmische Elan des Meisters von Bacchus et Ariane meldet sich bereits in den ersten Takten der Symphonie, dessen Hauptthema sich über einer kraftvoll pulsierenden Begleitung entwickelt. Die Flöte exponiert den lyrischen Seitensatz, doch der energetische Puls stellt sich sogleich wieder ein. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung erscheint ein von den Blechbläsern dominierter prägnanter melodischen Gedanke, der im Finale der Symphonie wieder erscheinen wird.

Der fortwährend vorwärtsdrängende Duktus läßt eine unveränderte Wiederkehr der Themen nicht zu - der erste Satz treibt einem geradezu schmerzhaft aggressiven Schluß zu.

Das Adagio wendet die Intensität sozusagen nach innen. Untergründig bleibt die höchste Expressivität des Tons durchwegs erhalten. Auch wenn sich im Mittelteil einige scheinbar spielerische Momente einstellen, die sich zu einem Fugato verdichten, dessen kontrapunktische Verschachtelungen einem intensiven Höhepunkt zutreiben. Die Wiederaufnahme des Eingangsthemas steigert sich zum großen Klagegesang. Erst zuletzt löst sich die Spannung, die Solovioline entschwebt in höchste Höhen.

Das folgende Scherzo fungiert nach kräftigem Auftakt als launig plapperndes, kicherndes Intermezzo. Die rhythmischen und harmonischen Finessen wenden sich ins Humorige, als gelte es, mit einem derben Satyrspiel die vorangegangen Emotionen auszutreiben.

Der lebhafte Tonfall bleibt im Finale erhalten, das schnatternde Holbläser eröffnen, in dem aber bald wieder der vom Schlagzeug angeheizte energetische Ton des ersten Satzes wieder anklingt. Diesmal allerdings bleibt die Stimmung zunächst komödiantisch. Doch bald beginnt die Solovioline gedankenverloren über jenes Thema zu fantasieren, das inmitten des ersten Satzes erklungen war. Die wirbelnden Klänge kehren aber zurück und runden das Werk - unter Einbeziehung dieses nun hymnisch gesteigerten Themas ab.

Leonard Bernstein hat eine grandiose Aufnahme dieser Symphonie in seiner New Yorker Zeit aufgenommen, federnd rhythmisch und im ärgsten Furor noch transparent. Die expressive Spannung des Adagio-Satzes läßt über zehn Minunten keinen Moment nach, bestimmt auch noch die vergleichsweise spielerischen Episoden und das groteske Fugato im Mittelteil. (Sony)

↑DA CAPO