11 Juli 2011
Über Darius Milhaud
Gespräch mit dem Komponisten und Intendanten Thomas D. Schlee
»Es wäre jetzt vermessen, von vielen persönlichen Eindrücken zu berichten«, sagt Thomas Daniel Schlee. »Als ich in Frankreich studiert habe, war Darius Milhaud schon tot. Aber ich bin mit seiner Musik aufgewachsen, denn seine Werke waren Bestandteil der väterlichen Bibliothek. Durch meinen Vater gibt es auch eine enge Bindung an die Provence, er hat jedes Jahr einen Monat dort verbracht.« Die Provence war Milhauds Heimat, ihre Atmosphäre ist in vielen seiner Werke tönend eingefangen.
Thomas Daniel Schlee, Intendant des "Carinthischen Sommers", erzählt, warum er dem französischen Komponisten Darius Milhaud (1892-1974) einen Schwerpunkt seines diesjährigen Festivals widmet. »Es ist«, sagt er, »eine Art Re-Evangelisierung, denn Milhauds Musik ist überall in der Welt präsent, wird viel aufgeführt. Nur hierzulande ist das Bewusstsein, dass es sich bei ihm um eine der tragenden Figuren der Musik des 20. Jahrhunderts handelt, ein wenig überlagert von den Nachwirkungen der ästhetischen Diskussionen, die wir nach 1945 geführt haben.«
Ein kompositorischer Vater
»Obwohl ich ein Schüler Olivier Messiaens war«, erklärt Schlee, der selbst Komponist ist, »gab es für mich nie einen Zweifel an der Bedeutung Milhauds. In Wahrheit war er für mich ein - wenn auch vielleicht nie wirklich eingestandener - kompositorischer Vater. Sein Zugang zum Musizieren hat mich immer beeindruckt, weil er ganz andere Wege gegangen ist als jene der sozusagen staatlich autorisierten Fortschrittlichkeit, die man uns immer als allein heilbringend weismachen wollte.«
Denn Milhauds Musik, meint Schlee, das war Musik der Moderne, »die immer von erfrischender Lebendigkeit ist. Sie sagt uns in jedem Ton: Ja, es gibt eine Alternative zur chromatischen, aus der Zwölftonordnung geborenen Musik«. Und diese Alternative muss deshalb kein Jota altmodisch oder rückwärtsgewandt sein: »Die Schichtungen in Milhauds Musik nehmen viel vorweg, was später geschah. Es ist kein Zufall, dass der vielleicht spielerischste Komponist der jüngeren Vergangenheit, Luciano Berio, ein großer Verehrer von Milhaud war. Von Milhaud stammen ja auch die ersten aleatorischen Stücke, schon um 1920!"
Vor allem aber besticht Schlee ein Grundsatz dieses Komponisten: "Er war stets der Überzeugung, dass die Melodie ein wichtiger Bestandteil der Musik ist. So etwas ist heute mit dem Odium des Restaurativen behaftet, aber Milhaud bestand darauf, dass auch in komplex geschichteten, polytonalen Kompositionen die klassischen achttaktigen Melodien für jeden ohne Begleitung nachsingbar sein sollten!«
Das Telefonbuch müßte reichen
»Die Natürlichkeit, die darin mitschwingt, fasziniert mich an dieser Gestalt«, sagt Schlee. »Man spürt sie auch daran, dass Milhaud so viel komponiert hat und ein Ideal gepflegt hat, das im Barock noch selbstverständlich war. Wenn Bach den Auftrag bekam, in zwei Tagen eine Kantate von zwölf Minuten Dauer zu liefern, dann hat er sie auf den gewählten Text geliefert. Und es war ein Meisterwerk. Dieser Geist schwingt auch bei Milhaud noch mit. Es ist ja kein Witz, wenn etwa Richard Strauss gesagt hat, ein guter Komponist müsste auch das Telefonbuch komponieren können. Diese albernen Geschichten, die man uns da seit 100 Jahren erzählt: Ein Komponist müsse auf das textliche Meisterwerk warten...«
Von derlei Wehleidigkeiten hält Thomas Daniel Schlee nichts. Er preist die Generosität Milhauds und setzt von diesem Meister unter anderem die »Miniatur-Opern« ins Programm, aber auch den selbst hierzulande verhältnismäßig populären "Boef sur le Toit". »Dann singt Wolfgang Holzmair die zum Weinen schöne ,Sommerreise' als zumindest kleinen Beitrag zur Wiederentdeckung der 20 Liederzyklen Milhauds, die ja einen kleinen musikalischen Garten Eden darstellen.«
Die Tür öffnet sich beim Carinthischen Sommer, ab heute, Montag, mit der Premiere der Opernproduktion in Ossiach: Unter dem Titel »Götter und Söhne« hört man die Miniaturopern-Trilogie »Der befreite Theseus«, »Die Entführung der Europa« und »Die verlassene Ariadne« sowie die Kantate »Die Rückkehr des verlorenen Sohnes«.
→ Darius Milhauds Symphonien
Thomas Daniel Schlee, Intendant des "Carinthischen Sommers", erzählt, warum er dem französischen Komponisten Darius Milhaud (1892-1974) einen Schwerpunkt seines diesjährigen Festivals widmet. »Es ist«, sagt er, »eine Art Re-Evangelisierung, denn Milhauds Musik ist überall in der Welt präsent, wird viel aufgeführt. Nur hierzulande ist das Bewusstsein, dass es sich bei ihm um eine der tragenden Figuren der Musik des 20. Jahrhunderts handelt, ein wenig überlagert von den Nachwirkungen der ästhetischen Diskussionen, die wir nach 1945 geführt haben.«
Ein kompositorischer Vater
»Obwohl ich ein Schüler Olivier Messiaens war«, erklärt Schlee, der selbst Komponist ist, »gab es für mich nie einen Zweifel an der Bedeutung Milhauds. In Wahrheit war er für mich ein - wenn auch vielleicht nie wirklich eingestandener - kompositorischer Vater. Sein Zugang zum Musizieren hat mich immer beeindruckt, weil er ganz andere Wege gegangen ist als jene der sozusagen staatlich autorisierten Fortschrittlichkeit, die man uns immer als allein heilbringend weismachen wollte.«
Denn Milhauds Musik, meint Schlee, das war Musik der Moderne, »die immer von erfrischender Lebendigkeit ist. Sie sagt uns in jedem Ton: Ja, es gibt eine Alternative zur chromatischen, aus der Zwölftonordnung geborenen Musik«. Und diese Alternative muss deshalb kein Jota altmodisch oder rückwärtsgewandt sein: »Die Schichtungen in Milhauds Musik nehmen viel vorweg, was später geschah. Es ist kein Zufall, dass der vielleicht spielerischste Komponist der jüngeren Vergangenheit, Luciano Berio, ein großer Verehrer von Milhaud war. Von Milhaud stammen ja auch die ersten aleatorischen Stücke, schon um 1920!"
Vor allem aber besticht Schlee ein Grundsatz dieses Komponisten: "Er war stets der Überzeugung, dass die Melodie ein wichtiger Bestandteil der Musik ist. So etwas ist heute mit dem Odium des Restaurativen behaftet, aber Milhaud bestand darauf, dass auch in komplex geschichteten, polytonalen Kompositionen die klassischen achttaktigen Melodien für jeden ohne Begleitung nachsingbar sein sollten!«
Das Telefonbuch müßte reichen
»Die Natürlichkeit, die darin mitschwingt, fasziniert mich an dieser Gestalt«, sagt Schlee. »Man spürt sie auch daran, dass Milhaud so viel komponiert hat und ein Ideal gepflegt hat, das im Barock noch selbstverständlich war. Wenn Bach den Auftrag bekam, in zwei Tagen eine Kantate von zwölf Minuten Dauer zu liefern, dann hat er sie auf den gewählten Text geliefert. Und es war ein Meisterwerk. Dieser Geist schwingt auch bei Milhaud noch mit. Es ist ja kein Witz, wenn etwa Richard Strauss gesagt hat, ein guter Komponist müsste auch das Telefonbuch komponieren können. Diese albernen Geschichten, die man uns da seit 100 Jahren erzählt: Ein Komponist müsse auf das textliche Meisterwerk warten...«
Von derlei Wehleidigkeiten hält Thomas Daniel Schlee nichts. Er preist die Generosität Milhauds und setzt von diesem Meister unter anderem die »Miniatur-Opern« ins Programm, aber auch den selbst hierzulande verhältnismäßig populären "Boef sur le Toit". »Dann singt Wolfgang Holzmair die zum Weinen schöne ,Sommerreise' als zumindest kleinen Beitrag zur Wiederentdeckung der 20 Liederzyklen Milhauds, die ja einen kleinen musikalischen Garten Eden darstellen.«
Die Tür öffnet sich beim Carinthischen Sommer, ab heute, Montag, mit der Premiere der Opernproduktion in Ossiach: Unter dem Titel »Götter und Söhne« hört man die Miniaturopern-Trilogie »Der befreite Theseus«, »Die Entführung der Europa« und »Die verlassene Ariadne« sowie die Kantate »Die Rückkehr des verlorenen Sohnes«.
→ Darius Milhauds Symphonien