Symphonie Nr. 1, As-Dur
Edward Elgar
Lange hat Edward Elgar um seine Erste Symphonie gerungen. Das große Oratorium Der Traum des Gerontius und die Enigma-Variationen hatten ihn als den führenden Komponisten Englands etabliert, doch der große symphonische Wurf stand noch aus.
Zögerlich ging die Arbeit im Herbst 1907 voran, erst im Frühjahr 1908 war der Bann gebrochen.
Seine Frau berichtet an eine Freundin:
E. schreibt den ganzen Tag lang wie ein Besessener an seiner Symphonieund Elgar selbst an einen Freund
Ich fülle Seiten ohne Ende
Wie schon für das Oratorium und die Variationen waren auch für die Symphonie Hans Richter und das Hallé Orchester Manchester als Uraufführungs-Interpreten ausersehen. Daily Mail nannte die Premiere »Das Konzert des Jahres«. Manche Zuhörer waren während der Standing Ovation für die Komponisten auf die Sitze gestiegen, um ihn sehen zu können.
Der Dirigent Arthur Nikisch liebte die Partitur und bezog sich auf Hans von Bülow und dessen auf Brahms' Erste gemünzte Aussage, sie könnte als Beethovens Zehnte gelten. Nikisch meinte nun mit Elgars As-Dur-Symphonie Brahms' Fünfte gefunden zu haben.
Die Sätze
I. Andante: Nobilmente e semplice – Allegro.
II Allegro molto – attaca
III. Adagio – molto espressivo e sostenuto
IV. Lento – Allegro – Grandioso (poco largamente)
Das Werk beschreibt in seiner satzübergreifenden Struktur den Widerstreit zwischen dem edlen, in sich ruhenden As-Dur-Thema der Introduktion und der zerklüfteten, kämpferischen Welt des in d-Moll (also in Tritonus-Spannung zum Grundton) beginnenden Allegros. Die Konflikte werden erst nach den furiosen Steigerungen im Finale gelöst. Die Mittelsätze beschreiben den Antagonismus in unterschiedlichen Charakterbildern: ein grotesk verzerrter Marsch mit einer Ahnung von einem pastoralen »Trio« bildet das Scherzo, das pausenlos übergeht in einen großen D-Dur-Adagio-Gesang, dessen Ebenmaß freilich immer wieder von chromatischen Gängen unterminiert wird.
Aufnahmen
Edward Elgar selbst hat seine Erste mehr als zwei Jahrzehnte nach der Uraufführung 1930 mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen - und strafte mit dieser Aufnahme alle Gerüchte Lügen, er sei ein schwacher Dirigent gewesen. Was die Temporelationen und den Einsatz des Rubatos betrifft, muß die Einspielung bis heute als maßstabsetzend gelten, vor allem bewältigt der Komponist selbst den heiklen Balanceakt am besten, den der Schlußsatz vom Interpreten fordert: Der langsame Durchbruch des noblen Eingangs-Mottos durch die heftig bewegten Lebensstürme der Musik und der Aufbau einer noblen Apotheose gelingen ihm ohne Peinlichkeit, dramaturgisch vollkommen logisch entwickelt.
Unter den späteren Aufnahmen ragt jene von Colin Davis mit der leuchkräftig aufspielenden Staatskapelle Dresden heraus. Auch hier herrscht Noblesse und jene gezügelte, inwendig aber leidenschaftliche Dramatik, die es zur Nacherzählung der musikalischen Geschichte braucht.
Die Dauerbrenner auch aus lokalpatriotisch-britischer Sicht der musikalischen Dinge sind natürlich die Aufnahmen unter der Leitung von Sir Adrian Boult und Sir John Barbirolli. Jeder eine Klasse für sich, Boult mit dem untrüglichen Auge für große Entwicklungen und die weit entfernten Punkte, an dem die Kreise sich schließen müssen; Barbirolli als fanatischer Detail-Arbeiter und Organisator überwältigender, oft orgiastischer Steigerungen und zündender Effekte - auch er weit entfernt davon, an der Oberfläche zu kratzen. Für den Hörer eine Temperamentfrage. Als Barbirollis erste Aufnahme des Werks 1957 herauskam, war es noch ein Thema, daß sie auf zwei Schallplatten erschien - die zweite faßte auf Seite 2 das Cellokonzert mit André Navarra - um den nahtlosen Übergang hörbar zu machen, den Elgar vom zweiten in den dritten Satz komponiert hat und der auf allen anderen LP-Versionen wegen des Seitenwechsels nicht ungestört zu erleben war. Die Zeiten sind vorbei; zumindest solange die Techniker wissen, daß zwischen Track 2 und 3 der CD keine Pause eingespeist werden darf . . .