Wie man auch in Wien ein wenig über den »Tristan« hinaussegelt
14. Februar 2001
Brittens „Billy Budd” war mit Darstellern wie Bo Skovhus und Neil Shicoff in der Wiener Staatsoper ein rauschender Erfolg beschieden. Sind einige kritische Anmerkungen dennoch gestattet?
Wien war für Benjamin Brittens Opern kein guter Boden. Erst ein halbes Jahrhundert nach den jeweiligen Uraufführungen kamen „Peter Grimes” und, jetzt, „Billy Budd” auf die Bühne der Staatsoper. Beide Stücke wurden vom Publikum begeistert aufgenommen. Das ist kein Wunder. Denn die Klangsprache Brittens befleißigt sich einer so gemäßigten Moderne, daß deren Wurzeln in der Romantik mühelos auszumachen sind.
Britten führt seine Harmonien lediglich ein Stückchen über den posttristanesken Horizont hinaus, sodaß auch ungeschulte Ohren in der Regel immer einen Grundton auszumachen imstande sind. Zudem erfindet er reizvolle neue Kombinationsmöglichkeiten für altvertraute Akkordgebilde, schafft schlichten Dur-Dreiklängen ungewöhnliche neue Verbindungen und versteht sich exzellent auf die englische Tradition eines raffinierten, doch auf dem Volkslied basierenden Chorsatzes.
So hat, um das vorwegzunehmen, der Staatsopernchor bei „Billy Budd” endlich wieder einmal eine große Stunde, darf handlungstragend agieren und die schönsten, effektvollsten Momente der Partitur mitgestalten. So haben Charakterdarsteller wie Neil Shicoff, Bo Skovhus und Eric Halfvarson den reizvollsten Klanghintergrund für gesangliche Differenzierungskunst.
Sie nutzen ihre Chancen weidlich, was einen Gutteil des Erfolgs dieses Abends ausmacht. Neben dem von Selbstzweifeln geplagten, introvertierten, doch charismatischen Kapitän Vere Shicoffs und dem quicklebendigen, herzerfrischend naiv hopsenden Titelhelden von Bo Skovhus beeindrucken auch die durchwegs exzellent besetzten Nebenfiguren, allen voran der abgeklärte Kumpel von Alfred Sramek, der keifende, armselige Strizzi Cosmin Ifrims und der schönstimmige „Neuling” an Bord des Kriegsschiffs, John Nuzzo.
Auch der kurzfristig als Redburn eingesprungene amerikanische Bariton Robert Bork darf sich über ein gelungenes Wien-Debüt freuen.
Vor allem aber setzt Eric Halfvarson zu einer bemerkenswerten Charakterstudie eines Bösewichts an, der in einem durchaus an Jagos Credo erinnernden Monolog seinen finstersten, in den dunkelsten Registern sorgsam psychologisch austarierten Moment hat.
So kommt die Handlung auf Touren, die den armen Titelhelden mir nichts, dir nichts, in ein widerliches Ränkespiel verwickelt. Weil er sich verbal gegen die Angriffe des Intriganten nicht zu wehren weiß, erschlägt er den Finsterling vor den Augen des Kapitäns. Dieser gerät daraufhin in den unauflösbaren Konflikt zwischen natürlichem Gerechtigkeitsempfinden und gesatztem Recht. Letzteres obsiegt.
Billy Budd wird gehängt. Nur die Aura des Kapitäns verhindert daraufhin eine Meuterei.
So weit, so innerlich spannend.
Doch hat Brittens Oper Längen, die vor allem dann spürbar werden, wenn Regie (Willy Decker) und Orchesterleistung nicht ganz mit der vokalen Gestaltungskunst mithalten können. Die Inszenierung, aus Köln importiert, ist eine wackere Umsetzung der Geschichte, die freilich vor der drastischen Zurschaustellung der äußerlichen und innerlichen Gewalttätigkeiten zurückschreckt und bieder an der Oberfläche, pardon: an Deck des von Wolfgang Gussmann treulich abgebildeten Kriegsschiffes bleibt.
Enttäuschend für mich die Leistung von Donald Runnicles, der das Orchester zwar des öfteren zu sehr leidenschaftlichen Aktionen anstachelt und bis in die allerhöchsten Streicherregister oft puren Schönklang erntet.
Doch finden sich in diesem Werk etliche Passagen, die akkurater ausgearbeitet werden müßten, um ihre Wirkung zu entfalten.
Ein Beispiel: Die raffiniert ineinandergeschachtelten Fanfarenklänge der Holz- und Blechbläser am Beginn des dritten Akts. Sie müßten angesichts der purifizierten, gar nicht impressionistischen, sondern holzschnittartig klaren Linienführung Brittens akkuratest ausgeführt und aufeinander abgestimmt werden, erklangen zur Premiere jedoch reichlich beiläufig. Auch die faszinierende Dreiklangskette des letzten Zwischenspiels bedürfte subtilster koloristischer Feinabstimmung, um nicht ins Kitschige abzugleiten.
Vielleicht liegt das daran, daß die Philharmoniker an Brittens Klangstil (noch) nicht geschult sind. Mag man bei Wagner von ihnen fordern, was man will: Sie erledigen es pünktlich und im Wissen, wie welcher Farbwert auch mit dem entferntesten Vis-à-vis im Orchestergraben abzumischen ist. Für den „englischen” Zungenschlag mangelt es an Erfahrungswerten – und das hört, wer Brittens Absichten erahnen kann.
Gewiß sind das Details. Doch sollte man über solche bei der Erarbeitung einer Premiere vielleicht doch nicht hinwegsehen. Auch – oder besser: schon gar nicht in der Wiener Staatsoper, die mit diesem „Billy Budd” trotz allem einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte und ihr Repertoire um ein Stück des vorigen Jahrhunderts bereichern konnte.
Wien war für Benjamin Brittens Opern kein guter Boden. Erst ein halbes Jahrhundert nach den jeweiligen Uraufführungen kamen „Peter Grimes” und, jetzt, „Billy Budd” auf die Bühne der Staatsoper. Beide Stücke wurden vom Publikum begeistert aufgenommen. Das ist kein Wunder. Denn die Klangsprache Brittens befleißigt sich einer so gemäßigten Moderne, daß deren Wurzeln in der Romantik mühelos auszumachen sind.
Britten führt seine Harmonien lediglich ein Stückchen über den posttristanesken Horizont hinaus, sodaß auch ungeschulte Ohren in der Regel immer einen Grundton auszumachen imstande sind. Zudem erfindet er reizvolle neue Kombinationsmöglichkeiten für altvertraute Akkordgebilde, schafft schlichten Dur-Dreiklängen ungewöhnliche neue Verbindungen und versteht sich exzellent auf die englische Tradition eines raffinierten, doch auf dem Volkslied basierenden Chorsatzes.
So hat, um das vorwegzunehmen, der Staatsopernchor bei „Billy Budd” endlich wieder einmal eine große Stunde, darf handlungstragend agieren und die schönsten, effektvollsten Momente der Partitur mitgestalten. So haben Charakterdarsteller wie Neil Shicoff, Bo Skovhus und Eric Halfvarson den reizvollsten Klanghintergrund für gesangliche Differenzierungskunst.
Sie nutzen ihre Chancen weidlich, was einen Gutteil des Erfolgs dieses Abends ausmacht. Neben dem von Selbstzweifeln geplagten, introvertierten, doch charismatischen Kapitän Vere Shicoffs und dem quicklebendigen, herzerfrischend naiv hopsenden Titelhelden von Bo Skovhus beeindrucken auch die durchwegs exzellent besetzten Nebenfiguren, allen voran der abgeklärte Kumpel von Alfred Sramek, der keifende, armselige Strizzi Cosmin Ifrims und der schönstimmige „Neuling” an Bord des Kriegsschiffs, John Nuzzo.
Auch der kurzfristig als Redburn eingesprungene amerikanische Bariton Robert Bork darf sich über ein gelungenes Wien-Debüt freuen.
Vor allem aber setzt Eric Halfvarson zu einer bemerkenswerten Charakterstudie eines Bösewichts an, der in einem durchaus an Jagos Credo erinnernden Monolog seinen finstersten, in den dunkelsten Registern sorgsam psychologisch austarierten Moment hat.
So kommt die Handlung auf Touren, die den armen Titelhelden mir nichts, dir nichts, in ein widerliches Ränkespiel verwickelt. Weil er sich verbal gegen die Angriffe des Intriganten nicht zu wehren weiß, erschlägt er den Finsterling vor den Augen des Kapitäns. Dieser gerät daraufhin in den unauflösbaren Konflikt zwischen natürlichem Gerechtigkeitsempfinden und gesatztem Recht. Letzteres obsiegt.
Billy Budd wird gehängt. Nur die Aura des Kapitäns verhindert daraufhin eine Meuterei.
So weit, so innerlich spannend.
Doch hat Brittens Oper Längen, die vor allem dann spürbar werden, wenn Regie (Willy Decker) und Orchesterleistung nicht ganz mit der vokalen Gestaltungskunst mithalten können. Die Inszenierung, aus Köln importiert, ist eine wackere Umsetzung der Geschichte, die freilich vor der drastischen Zurschaustellung der äußerlichen und innerlichen Gewalttätigkeiten zurückschreckt und bieder an der Oberfläche, pardon: an Deck des von Wolfgang Gussmann treulich abgebildeten Kriegsschiffes bleibt.
Enttäuschend für mich die Leistung von Donald Runnicles, der das Orchester zwar des öfteren zu sehr leidenschaftlichen Aktionen anstachelt und bis in die allerhöchsten Streicherregister oft puren Schönklang erntet.
Doch finden sich in diesem Werk etliche Passagen, die akkurater ausgearbeitet werden müßten, um ihre Wirkung zu entfalten.
Ein Beispiel: Die raffiniert ineinandergeschachtelten Fanfarenklänge der Holz- und Blechbläser am Beginn des dritten Akts. Sie müßten angesichts der purifizierten, gar nicht impressionistischen, sondern holzschnittartig klaren Linienführung Brittens akkuratest ausgeführt und aufeinander abgestimmt werden, erklangen zur Premiere jedoch reichlich beiläufig. Auch die faszinierende Dreiklangskette des letzten Zwischenspiels bedürfte subtilster koloristischer Feinabstimmung, um nicht ins Kitschige abzugleiten.
Vielleicht liegt das daran, daß die Philharmoniker an Brittens Klangstil (noch) nicht geschult sind. Mag man bei Wagner von ihnen fordern, was man will: Sie erledigen es pünktlich und im Wissen, wie welcher Farbwert auch mit dem entferntesten Vis-à-vis im Orchestergraben abzumischen ist. Für den „englischen” Zungenschlag mangelt es an Erfahrungswerten – und das hört, wer Brittens Absichten erahnen kann.
Gewiß sind das Details. Doch sollte man über solche bei der Erarbeitung einer Premiere vielleicht doch nicht hinwegsehen. Auch – oder besser: schon gar nicht in der Wiener Staatsoper, die mit diesem „Billy Budd” trotz allem einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte und ihr Repertoire um ein Stück des vorigen Jahrhunderts bereichern konnte.