Die »Gesänge op. 13«

Alma Schindler, die „femme fatale“ im Wien um 1900, hat auch Alexander von Zemlinsky den Kopf verdreht. Obwoihl sie von ihm sagte:
Zemlinsky ist das komischste, was es gibt, ... eine Caricatur, kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen
begann sie eine Affäre mit ihm - denn sie wollte bei dem bedeutenden Musiker Kompositionsuterricht nehmen Erst Gustav Mahlers Auftreten hat die Liebesbeziehung beendet. Alma wandte sich ihm zu.

Vielleicht als eine Art musikalischer Vergangenheitsbewältigung schrieb Zemlinsky etwa zehn Jahre nach der Zurückweisung durch Alma seine Sechs Gesänge op. 13 nach Gedichten von Maurice Maeterlinck, in denen sich manch biographische Assoziation zu spiegeln scheint.

1913 erschien die Liedfolge in Druck. Noch einmal zehn Jahre später fertigte Zemlinsky eine durch üppige Vor- und Zwischenspiele angereicherte Orchesterversion an, die als dankbare Aufgabe für Sängerin und Dirigent auch in den Jahren der völligen Zemlinsky-Ignoranz hie und da auf den Spielplänen auftauchte. Wobei Zemlnsky hier durchaus bei den viel populäreren Orchesterliedern seines Nebenbuhlers Mahler Maß genommen haben dürfte. Auch er bemüht sich um eher schlichte Melodik, gebettet in ein farbenreiches und harmonisch buntes Klanggewand.

Maeterlincks symbolistische Verse haben Zemlinsky zu dekadent-todessüchtigen, hoch expressiven Gesängen inspiriert. Da ziehen zunächst die Drei Schwestern aus, um den Tod zu finden – sie scheitern in der ewigen Natur, im Wald und am Meer, doch die Stadt enpuppt sich als »Sehnsuchtsziel«, die Gegenwart.
Die drei Schwestern

Die drei Schwestern wollten sterben,
Setzten auf die güldnen Kronen,
Gingen sich den Tod zu holen.
Wähnten ihn im Walde wohnen:
„Wald, so gib uns, dass wir sterben,
Sollst drei güldne Kronen erben.“
Da begann der Wald zu lachen
Und mit einem Dutzend Küssen
Liess er sie die Zukunft wissen.

Die drei Schwestern wollten sterben,
Wähnten Tod im Meer zu finden,
Pilgerten drei Jahre lang.
„Meer, so gib uns, dass wir sterben,
Sollst drei güldne Kronen erben.“
Da begann das Meer zu weinen,
Liess mir dreimal hundert Küssen
Die Vergangenheit sie wissen.

Die drei Schwestern wollten sterben,
Lenkten nach der Stadt die Schritte;
Lag auf einer Insel Mitte.
„Stadt, so gib uns, dass wir sterben, Sollst drei güldne Kronen erben.“
Und die Stadt tat auf die Tore
Und mit heissen Liebesküssen
Ließ die Gegenwart sie wissen.


Mädchen mit verbundenen Augen ziehen aus ihrem Schloß, sie wollen «ihr Schicksal» suchen. Der Erzählers (»Tut ab die goldenen Binden! … Laßt an die goldenen Binden!«) treibt ihre Irrfahrt immer weiter voran.

Die Mädchen mit den verbundenen Augen

(Tut ab die goldenen Binden!)
Die Mädchen mit den verbundenen Augen
Wollten ihr Schicksal finden.

Haben zur Mittagsstunde das Schloss
(Lasst an die goldenen Binden!)
Haben zur Mittagsstunde das Schloss
Geöffnet im Wiesengrunde.
Haben das Leben gegrüsst,
(Zieht fester die goldenen Binden!)
Haben das Leben gegrüßt,
Ohne hinaus zu finden.



Die huldreiche Jugfrau Maria spricht im Lied Nr 3 einem todgeweihten Liebespaar Trost zu.

Lied der Jungfrau

Allen weinenden Seelen,
Aller nahenden Schuld
Offn’ ich im Sternenkranze
Meine Hände voll Huld.

Alle Schuld wird zunichte
Vor der Liebe Gebet,
Keine Seele kann sterben,
Die weinend gefleht.

Verirrt sich die Liebe
Auf irdischer Flur,
So weisen die Tränen
Zu mir ihre Spur.


in Nr. 4 erfahren wir vom Schicksal eines jungen Liebhabers, der fortziehen muß und - als er wiederkehrt - seine Geliebte in den Armen eines anderen findet. Todgeweiht auch er.

Als ihr Geliebter schied

Als ihr Geliebter schied,
(Ich hörte die Türe gehn),
Als ihr Geliebter schied,
Da hab ich sie weinen gesehn.

Doch als er wieder kam,
(Ich hörte des Lichtes Schein),
Doch als er wieder kam,
War ein anderer daheim.

Und ich sah den Tod,
(Mich streifte sein Hauch),
Und ich sah den Tod,
Der erwartet ihn auch.


In der Folge beschwört Zemlinsky den »Nebenbuhler« Gustav Mahler auch ganz deutlich mit musikalischen Mitten: Das fünfte Lied, Und kehrt er einst heim klingt am meisten nach Mahler: Die traurigen a-Moll-Weise steht für die insistierenden Fragen der Schwester, ehe sie ihrem heimkehrenden Schwager das Schicksal seiner Frau offenbart.

Und kehrt er einst heim

Und kehrt er einst heim,
Was sag ich ihm dann?
Sag, ich hätte geharrt,
Bis das Leben verrann.

Wenn er weiter fragt,
Und erkennt mich nicht gleich?
Sprich als Schwester zu ihm;
Er leidet vielleicht.

Wenn er fragt, wo du seist,
Was geb ich ihm an?
Mein’ Goldring gib,
Und sieh ihn stumm an...

Will er wissen,
Warum so verlassen das Haus?
Zeig die offne Tür,
Sag, das Licht ging aus.

Wenn er weiter fragt,
Nach der letzten Stund’...
Sag, aus Furcht, dass er weint,
Lächelte mein Mund.



Lied Nr. 6 beginnt mit einer weit geschwungenen D-Dur-Melodie, ein Anklang an Mahlers Neunte Symphonie. Hier wird eine wunderbare Vergangenheit besungen: Die ruhige Antwort der Singstimme erzählt dann von der Königin, die ihr Schloß verläßt, um mit der Jungfrau des Todes fortzuziehen.

Sie kam zum Schloß gegangen

Sie kam zum Schloss gegangen
— Die Sonne erhob sich kaum —
Sie kam zum Schloss gegangen,
Die Ritter blickten mit Bangen
Und es schwiegen die Frauen.

Sie blieb vor der Pforte stehen,
— Die Sonne erhob sich kaum —
Sie blieb vor der Pforte stehen,
Man hörte die Königin gehen
Und der König fragte sie:

Wohin gehst du? Wohin gehst du?
— Gib acht in dem Dämmerschein! —
Wohin gehst du? Wohin gehst du?
Harrt drunten jemand dein?

Sie sagte nicht ja noch nein.
Sie stieg zur Fremden hernieder,
— Gib acht in dem Dämmerschein! —
Sie stieg zu der Fremden hernieder,
Sie schloss sie in ihre Arme ein.

Die beiden sagten nicht ein Wort
Und gingen eilends fort.



↑DA CAPO