Lyrische Symphonie
Alexander von Zemlinsky, 1923
Die Lyrische Symphonie kam auf dem Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik im Juni 1924 in Prag zur Uraufführung. Der Komponist dirigierte selbst - er leitete im Rahmen dieser Konzertreihe wenig später auch die Uraufführung von Arndol Schönbergs Monodram Erwartung.
Die Symphonie war im August 1923 vollendet worden und beruht - nach dem Vorbild von Gustav Mahlers Lied von der Erde in Wechselgesängen einer Männer- und einer Frauenstimme - auf Gedichten des bengalischen Dichters Rabindranath Tagore.
Die Musik
1. Langsam (Bariton - fis-Moll)
Ich bin friedlos, ich bin durstig nach fernen Dingen.
Meine Seele schweift in Sehnsucht, Den Saum der dunklen Weite zu berühren.
O großes Jenseits, o ungestümes Rufen Deiner Flöte.
Ich vergesse, ich vergesse immer, daß ich keine Schwingen zum Fliegen habe, daß ich an dieses Stück Erde gefesselt bin für alle Zeit.
Ich bin voll Verlangen und wachsam, ich bin ein Fremder im fremden Land; dein Odem kommt zu mir und raunt mir unmögliche Hoffnungen zu.
Deine Sprache klingt meinem Herzen vertraut wie seine eig’ne.
O Ziel in Fernen, o ungestümes Rufen deiner Flöte.
Ich vergesse immer, ich vergesse, dass ich nicht den Weg weiß, daß ich das beschwingte Ross nicht habe.
Ich bin ruhlos, ich bin ein Wanderer in meinem Herzen.
Im sonnigen Nebel der zögernden Stunden welch gewaltigesGesicht von dir wird Gestalt in der Bläue des Himmels.
O fernstes Ende, o ungestümes Rufen deiner Flöte.
Ich vergesse, ich vergesse immer, daß die Türen überall verschlossen sind in dem Hause, wo ich einsam wohne.
O fernstes Ende, o ungestümes Rufen deiner Flöte.2. Lebhaft (Sopran - A-Dur/Des-Dur)
Mutter, der junge Prinz muß an unsrer Türe vorbeikommen,
Wie kann ich diesen Morgen auf meine Arbeit Acht geben?
Zeig mir, wie soll mein Haar ich flechten;
Zeig mir, was soll ich für Kleider anziehen?
Warum schaust du mich so verwundert an, Mutter?
Ich weiß wohl, er wird nicht ein einz’ges Mal zu meinem Fenster aufblicken.
Ich weiß, im Nu wird er mir aus den Augen sein;
Nur das verhallende Flötenspiel wird seufzend zu mir dringen von weitem.
Aber der junge Prinz wird bei uns vorüberkommen,
Und ich will mein Bestes anziehn für diesen Augenblick.
Mutter, der junge Prinz ist an unsrer Türe vorbeigekommen,
Und die Morgensonne blitzte an seinem Wagen.
Ich strich den Schleier aus meinem Gesicht, riß die Rubinenkette von meinem Halse und warf sie ihm in den Weg.
Warum schaust du mich so verwundert an, Mutter?
Ich weiß wohl, daß er meine Kette nicht aufhob.
Ich weiß, sie ward unter den Rädern zermalmt
Und ließ eine rote Spur im Staube zurück.
Und niemand weiß, was mein Geschenk war, und wer es gab.
Aber der junge Prinz kam an unsrer Tür vorüber
Und ich hab’ den Schmuck von meiner Brust ihm in den Weg geworfen.
3. Adagio (Bariton - Es-Dur)
Du bist die Abendwolke, die am Himmel meiner Träume hinzieht.
Ich schmücke dich und kleide dich immer mit den Wünschen meiner Seele;
Du bist mein Eigen, mein Eigen,
Du, die in meinen endlosen Träumen wohnt.
Deine Füße sind rosigrot von der Glut meines sehnsüchtigen Herzens,
Du, die meine Abendlieder erntet,
Deine Lippen sind bittersüß vom Geschmack des Weins aus meinen Leiden.
Du bist mein Eigen, mein Eigen,
Du, die in meinen einsamen Träumen wohnt,
Mit dem Schatten meiner Leidenschaft hab’ ich deine Augen geschwärzt, gewohnter Gast in meines Blickes Tiefe.
Ich hab’ dich gefangen und dich eingesponnen, Geliebte, in das Netz meiner Musik.
Du bist mein Eigen, mein Eigen,
Du, die in meinen unsterblichen Träumen wohnt.4. Langsam (Sopran - d-Moll)
Befrei mich von den Banden deiner Süße, Lieb!
Nichts mehr von diesem Wein der Küsse,
dieser Nebelvon schwerem Weihrauch erstickt mein Herz.
Öffne die Türe, mach Platz für das Morgenlicht.
Ich bin in dich verloren, eingefangen in die Umarmungen deiner Zärtlichkeit.
Befrei mich von deinem Zauber und gib mir den Mut zurück,
Dir mein befreites Herz darzubieten.6. Sehr mäßig (Sopran - e-Moll)
Vollende denn das letzte Lied
und laß uns auseinander gehn.
Vergiß diese Nacht, wenn die Nacht um ist.
Wen müh’ ich mich mit meinen Armen zu umfassen?
Träume lassen sich nicht einfangen, meine gierigen Händedrücken
Leere an mein Herz und es zermürbt meine Brust7. Molto adagio (Bariton - D-Dur)
Friede, mein Herz,
laß
die Zeit für das Scheiden süß sein,
Laß es nicht einen Tod sein, sondern Vollendung.
Laß Liebe in Erinn’rung schmelzen und Schmerz in Lieder.
Laß die letzte Berührung deiner Hände sanft sein,
wie die Blume der Nacht.
Steh still, steh still,
o wundervolles Ende, für einen Augenblick
und sage deine letzten Worte in Schweigen.
Ich neige mich vor dir,
ich halte meine Lampe in die Höhe,
um dir auf deinem Weg zu leuchten.