König Kandaules
Rekonstruktion eines Meisterwerks
Alexander von Zemlinsky hat, krank und verzweifelt über die Unlust seiner Zeitgenossen, sich mit seinem Schaffen auseinanderzusetzen, die Partitur seiner letzten Oper unvollendet im amerikanischen Exil liegen lassen.
Die Vertonung von André Gides voll der erstaunlichsten sexuellen Begierden steckenden Text läßt dennoch alle Unbilden des Kompositionsprozesses vergessen: Hier schillert und blinkt es so erregend wie in den anziehendsten Werken des „mittleren” Zemlinsky.
Aus der Lyrischen Symphonie sind sogar zwei
der wichtigsten Themen entlehnt, jenes des Fischers Gyges und jenes der Liebesmusik im zweiten Akt – die übrigens klingt wie glühende Emanationen eines späten Mahler-Adagios.
Mag sein, daß Zemlinsky im Gefolge seiner späten Stücke, des Kreidekreises etwa, karger instrumentiert hätte als sein Arrangeur Antony Beaumont. Und doch ist in dessen Kandaules-Fassung
der typische Zemlinsky-Ton mit aller nervösen Brillanz getroffen.
Gleich zwei Versuche mit der von Beaumont rekonstruierten Oper haben in Österreich Furore gemacht. An der Volksoper gelang eine Produktion von Regisseur Hans Neuenfels beeindrckend. Und die Premiere bei den Salzburger Festspiele 2002 wurde i n der Regie von Christine Mielitz zu einer veritablen Ehrenrettung.
Salzburger Festspiel-Premiere
Rezension vom 30. Juli 2002
Eine dermaßen geglückte Festspielpremiere ward in Salzburg lange nicht gesehen. Nach fruchtlosen Versuchen immer neuer, meist hilflos vor den Ansprüchen der Werke kapitulierender sogenannter Deutungen gibt es jetzt den Beweis, daß zeitgemäße Regie auch heißen kann: auf Punkt und Komma ein Stück erlebbar machen. Ohne falsches
Beiwerk, ohne Umstellungen und Verdrehungen.
Vom ersten Moment an wird der Zuschauer in die Handlung gezogen. Denn Christine Mielitz läßt den ersten Akt, das Fest bei König Kandaules, mehr im Zuschauerraum als auf der Bühne spielen. Bewegung allenthalben, rings um den Orchestergraben, zwischen den Sitzreihen.
Dirigent Kent Nagano vollbringt das Wunder, sein Deutsches Symphonieorchester in spätromantisch-impressionistischen Farben funkeln zu lassen, dabei aber nie den Kontakt zu den Sängern zu verlieren, die vor, hinter und neben ihm agieren.
Die minuziöse Regie formt noch aus der kleinsten Rolle eine Persönlichkeit - die übrigens in allen Fällen ihre vokale Entsprechung findet, denn die Festspiele besetzen nach Jahren der diesbezüglichen Ahnungslosigkeit nun offenbar wieder mit Sinn für die musikalische Sache.
Von Jochen Schmeckenbecher über John Dickie bis zu Mel Ulrich singen und agieren alle perfekt.
Weltentrückter König
Das Spiel vom weltentrückten Herrscher, der ohne Kontakt zur realen Welt seinen Reichtum, sein Glück, dann auch seine schöne Frau mit allen teilen will, es wird durch die in jedem Moment konzentrierte, penible Formung der Charaktere zur packenden Parabel auf unsere Gegenwart.
Die nicht nur moralische Impotenz der Gutmenschen-Ära spiegelt sich im Versagen des Kandaules. Er stiftet den kräftigen Naturburschen Gyges an, durch einen Ring unsichtbar gemacht, die Nacht bei der Königin zu verbringen.
Als diese den entehrenden Betrug entdeckt, schwört sie Rache: Einer der beiden Verräter muß durch die Hand des anderen sterben. Gyges tötet den König.
Das Spiel verdichtet sich vom anfänglichen Festesbrausen zur fesselnden psychologischen Analyse. Wie Alexander von Zemlinskys Musik, die immer bohrender, leidenschaftlicher, unausweichlicher wird, wächst auch der Gesang der Königin Nyssia vom blühend schönen Belcanto zu expressionistischer Wucht.
Nina Stemme entfaltet dabei ihren leuchtenden Sopran zu edler Größe.
Robert Brubakers Kandaules bildet dazu vor allem in den stürmischen Attacken der ersten beiden Aufzüge ein perfektes dramaturgisches Gegengewicht. Da wird hochdramatischer Gesang zum ganz selbstverständlichen, nicht künstlich forcierten Ereignis.
Wolfgang Schöne gibt dem Gyges männliches, kraftvolles Profil, mimt stimmlich wie darstellerisch glaubwürdig den unverdorbenen, chthonischen Burschen, hin und hergerissen zwischen der ihm geradezu oktroyierten Freundschaft zum König und der Leidenschaft für die Frau am Morgen nach "der Liebe schönster Nacht".
Dieser Gyges erscheint wie ein lebendes Gegenbild zur wuchtigen Skulptur, die Alfred Hrdlicka nebst einigen Zeichnungen als Bühnenbild für die Parabel beigesteuert hat.
In den stürmischen Beifall nach der Premiere im kleinen Festspielhaus mischten sich trotz allem einige Mißfallenskundgebungen. Selbst handwerklich singulär geglückte, stimmig ablaufende musikdramatische Spitzenleistungen erschließen sich, scheint's, nicht jedem.
Die Mehrheit des Publikums aber jubelte über die rare Begegnung mit einem spät entdeckten Meisterwerk.
Meisterwerk der 30er-Jahre
Zemlinsky hat das Stück in den dreißiger Jahren skizziert, aber auch im amerikanischen Exil nicht fertig instrumentiert. Es kam in der vervollständigten Fassung Anthony Beaumonts erst vor kurzem in Hamburg zur Uraufführung und erlebte nach Hans Neuenfels' theaterwirksamer, doch sehr frei die Handlung deutender Wiener Volksopern-Produktion nun seine eigentliche Erweckung.
Überzeugender hätte der von Salzburgs Festspielintendant Peter Ruzicka geplante Zyklus "vertriebener Musik" nicht beginnen können
Leider nur auf CD erschienen:
Der Mitschnitt der
Festspielpremiere vom Juli 2002
→ ANDANTE AN 3070