Frédéric (Fryderyk) CHOPIN
Die Polonaisen
Die Polonaise fehlt bei keiner Ball-Eröffnung. Festlich, strahlend, kraftvoll rhythmisiert taugt sie als Ouvertüre eines glanzvollen Festes. Für Chopin war die Tanzform, die sein Heimatland im Namen führt, keineswegs so klar und einfach zu definieren. Eher diente ihm die stilisierte Tanzform als Trägermedium für Botschaften, die der im Pariser Exil lebende Pole angesichts der Lage seiner Landsleute an die Welt schicken wollte. Jedenfalls kommt keineswegs alle seiner Polonaisen in so festlichem Tonfall daher wie die - allerdings auch durchaus heroisch anmutende - A-Dur-Polonaise op. 40/1 von 1838. Unter derselben Opusnummer firmiert ein gänzlich konträres Werk in c-Moll, das tragisch-verhangen, ja resigniert anmutet.Schon drei Jahre zuvor hatte Chopin seine ersten beiden Polonaisen komponiert und bald darauf - ebenfalls paarweise - als Opus 26 veröffentlicht. Sie lassen ganz andere Töne hören. Die cis-Moll-Polonaise wächst aus drohenden Eingangstakten heraus in ein wechselhaftes Szenarium aus schwungvollen und introvertiert-lyrischen Momenten, die in einem hoch expressiven Mittelteil noch intensiviert werden. Das Gegenstück in es-Moll nimmt sich hingegen aus wie ein irrlichterndes, nervöses Charakterstück, geeint mit dem Schwesterwerk lediglich durch den insistenten Polonaisenrhythmus, der beherrschend bleibt.
1941 entstand die Polonaise in fis-Moll und stellte schon in den Augen ihres Schöpfers einen großen Schritt in Richtung eines gefestigten, neuen Stils dar:
Une nouvelle Polonaise, mas c'est plutot une fantaisieschreibt Chopin selbst. Fantasievoll ist der Umgang mit der Form hier jedenfalls: Anstelle des gewohnten Trios steht hier eine elegische Mazurka, Chopin kombiniert also die beiden bekanntesten polnischen Tanzformen miteinander. Ungewöhnlich ist auch die Überleitung zwischen diesen Teilen, ein unruhig insisitierendes Ostinato, von dem sich die introvertiere Mazurka umso stärker abhebt.
Noch originellere, kühnere formale Experimente wagt Chopin mit den letzten beiden Polonaisen, beide in As-Dur, op. 53 (As-Dur) - schon recht weit vom traditonellen Tanz entfernt, eher eine Tondichtung auf Polaisenbasis - und op. 61 (folgerichtig als »Polonaise-Fantaisie« bezeichnet). Vor allem die letzte trägt ihren »Fantasie«-zusatz im Namen zurecht: Hier scheint die Form völlig aufgelöst zu sein, rhapsodisch, improvisierend. Wo Themen wiederkehren, sind sie kühn verwandelt. Und doch basieren die Entwicklungen auf einigen, wenigen Motivischen Kernelementen, die das Ganz im Innersten doch zusammenhalten. Auch der harmonische Reichtum hat manche Kommentatoren irritiert; allen voran Franz Liszt, selbst nicht gerade zimperlich in Fragen der musikalischen Innovation, war von Chopins mutigem Werk verstört.