Frédéric (Fryderyk) CHOPIN

Die Mazurken

Die Mauzurken von Chopin sind das Tagebuch seiner seelischen Reisen auf dem politisch-socialen Gebiet sarmatischer Traumwelt! - Da war seine Reproduction zu Haus; da wohnte die Eigenartigkeit des Pianisten Chopin. Er vertrat Polen, sein Traumland, im Pariser Salon, den er in den Zeiten von Louis Philipp, auf seinem Standpunkt für eine politische, maassgebende Größe ansehen dürfte.
Wilhelm von Lenz

Mehr als 50 Mazurkenhat Chopin in seinem Leben komponiert. Wie die Polonaise konnte die Mazurka in den Pariser Salons als unverwechselbar polnische Tanzgattung identifiziert werden. Die Konnotation in den Zeiten der polnischen Freiheitskämpfe - Chopin war durch die Flucht vor den Wirren erst zu einem »französischen Komponisten« geworden - war also keinesfalls nur eine melancholische Heimwehstimmung, sondern durchaus politisch grundiert.

Kompositionstechnisch gehören die Mazurken zu Chopins kühnsten Werken - je kleiner die Form, desto ungestörter konnte sich seine Fantasie entfalten. Von Stück zu Stück läßt der Komponist in diesen großteils nicht mehr in Polen, sondern im Exil entstandenen Miniaturen seine formale und harmonische Erfindungsgabe schweifen. Es finden sich kaum zwei wirklich deckungsgleich gebaute Mazurken. Jede bildet eine kleine Welt für sich. Die Entwicklungslinie, die Chopin verfolgt, mündet in der späten f-Moll-Mazurka aus dem Todesjahr, in dem sich Melodik und Harmonik in einen rätselhaften Schwebezustand aufzulösen scheinen - etwa zehn Jahre später wird Richard Wagner mit solchen Mitteln in seinem »Tristan« eine musikalische Revolution auslösen . . .

Anders als etwa in den Nocturnes, die kunstvolle Arien mit belkantesken Verzierungen darstellen, bleiben die Mazurken tänzerisch, simpler - auch im instrumentalen Anspruch. Dabei sind sie mit ungeheurem Raffinement gesetzt: Nur kehrt sich die pianistische Virtuosität hier nach innen. Statt ornamentalem Zierrat sucht die Gestaltungskunst nach feinsten dynamischen und agaogischen Schattierungen. Überdies nach einer subtil differnzierten Rhythmik, die auch bei großzügigem Rubatospiel den tänzerischen Grundduktus nicht verlieren darf.

Vielfalt im 3/4-Takt

Für immense Vielfalt der musikalischen Gestalten sorgt im Falle dieser Werkserie schon die Tatsache, daß sich hinter dem Titel Mazurka höchst unterschiedliche Tänze verbergen. Sie haben alle nur eins gemeinsam: Sie stehen im Dreivierteltakt und betonen häufig die zweite Zählzeit. Im übrigen finden wir drei verschiedene Wurelformen: den getrageneren Kujawiak, den lebhafteren Mazur und den kraftvollen, mit fliegenden Bewegungen getanzten Oberek.

Über den Kujawiak heißt es in einem Bericht in der Zeitschrift »Die Lyra«aus dem jahr 1901:
Die Schönheit des Jujawiak liegt in der phantasievollen Melodie ... Er ist ein Lied des angeheiterten Landmannes: Unmuth, Innigkeit, Lust und Sehnsucht, das alles kommt im bunten Durcheinander zum Ausdruck.
Der Oberek wiederum unterscheide sich von der Mazurka durch
rascheres Tempo
einförmigeren Rhythmus
lebhaftere Figuren

Schon in den ersten beiden Mazurken-Sammlungen (op. 6 und 7), die Chopin in Wien komponierte, wechseln daher Charaktere und Stimmungen. Schon in op. 7 stehen scharf kontrstierende Stücke nebeneinander, die stürmische B-Dur-Mazurka zum Eingang und - wiederum in f-Moll - eine rätselhaft improvisiered den harmonischen Raum erkundende Klangstudie im Zentrum der Fünfergruppe.

Dei folgenden Mazurken entstanden dann bereits in dem französischen Jahren Chopins und zeigen mit der Zeit mehr und mehr Stilisierung, ab op. 50 sogar deutlich die zunächst in den Préludes bekundete Hinwendung zur analytischen Denkungsweise, die sich am Studium der Werke Bachs geschult hat. In der cis-Moll-Mazurka op. 50/3 finden wir sogar eien regelrechten Kanon integriert, ohne daß der im Grunde tänzerische Charakter der Musik dadurch beeinträchttigt wäre: Chopins Satzkunst integriert die kontrapunktische Technik völlig unmerklich.


↑DA CAPO