Nur in deutschsprachigen Ländern stand das zur Diskussion, für das Publikum in angelsächsischen Ländern galt Jean Sibelius stets als der bedeutendste Symphoniker der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts. Erst die Errungenschaften der sogenannten Postmoderne haben es möglich gemacht, auch in Musikzentren wie Wien oder Berlin einen vorurteilslosen Blick in die Partituren des finnischen Meisters zu werfen.
Er offenbart eine Welt an formaler Phantasie und harmonischer Abenteuerlust, die von der wichtigen Position der Musik von Sibelius im Kontinuum der europäischen Orchestermusik kündet: Da hat ein Komponist es verstanden, die Romantik auf eine Weise zu überwienden, die es ermöglichte die Harmonik der Dur-Moll-Tonalität auszuweiten und damit neue Bereiche zu erschließen.
In diesem Kontext betrachtet stellen die Symphonien von Jean Sibelius einen eigenen Kosmos dar, der ebenbürtig neben jenem der Symphonik eines Gustav Mahler oder - später - von Komponisten wie Karl Amadeus Hartmann oder Hans Werner Henze steht. Mahlers Diktum, eine Symphonie zu komponieren, das sei wie »eine Welt aufzubauen« kann ebensogut für Sibelius gelten. Auch seine sieben Symphonien stellen sieben musikalische »Welten« dar, die sich der Hörer - und der Interpret - einzeln erobern muß.
Symphonie Nr. 1 e-Moll
Diesem Werk galt in den Sechzigerjahren im Rahmen der Gesamteinspielung der Symphonien unter Lorin Maazel eine singuläre Aufnahme. Mit Maazel erarbeitete sich das Orchester das für die Musiker zuvor fremde Repertoire ganz neu und von Grund auf - Maazel stachelte das Spiel bei aller Präzision zu ungeheurer Intensität an - und der glücklich Zufall wollte es, daß der genialische Aufnahmeleiter der Decca, John Culshaw, seine Firma noch nicht Richtung CBS verlassen hatte. So gelang eine der allerbesten Tonaufnahmen der Wiener Philharmoniker überhaupt, deren volle Klanglichkeit sich freilich bis zum Vorliegen einer guten Digitalisierung auf den exzellenten frühen Decca-Pressungen englischer Provenienz entfaltet, wenn auch die eminente Qualität der Interpretation auch auf CD zur Geltung kommt.
Hörenswert ist trotz situationsbedingter technischer Mängel auch ein Livemitschnitt der New Yorker Aufführung der Symphonie unter Victor de Sabatas Leitung aus den Fünfzigerjahren - der Maestro reizt die New Yorker Philharmoniker bis zur Weißglut. Intensiver als auf den beiden genannten Aufnahmen ist diese effektvolle Symphonie vermutlich später nie wieder realisiert worden.
Pierre Monteux hat als einziges Werk des großen Finnen diese Symphonie im Repertoire gehabt - seine Aufnahme mit London Symphony ist bestechend in ihrer Deutlichkeit und Durchhörbarkeit. Zwar bieten die Musik den nötigen romantischen Überschwang und die Leuchtkraft des Klangs, die nötig sind, um den Stimmungsgehalt der Musik zu treffen, aber sie realisieren das Stimmengeflecht mit in diesem Repertoire ungewohnter analytischer Klarheit. Die Kombination ist bestechend - und ziemlich einmalig in der Aufnahmegeschichte dieser Symphonie, die Sibelius' meistgespielte sein dürfte.
Symphonie Nr. 3 C-Dur op. 52
komponiert 1907. Die Uraufführung mit der Philharmonischen Gesellschaft, Helsinki, am 25. September 1907 dirigierte Sibelius selbst.
I. Allegro moderato
II. Andantino con moto, quasi allegretto
III. Moderato
... die undankbarste von allen
Die Dritte ist die heikelste der Sibelius-Symphonien, auf halbem Wege zwischen dem spätromantischen Überschwang der ersten beiden Werke und der kargen, unerhörten Formen- und Klangwelt der Vierten. Schon die Anlage des Werks in drei Sätzen zeigt Siblius' Bemühen um eine Klärung des formalen Anspruchs - hier herrscht Klassizitität, dokumentiert auch durch den Rückgriff auf die Form der dreisätzigen Opern-Ouvertüre, der »Sinfonia« spätbarocken Zuschnitts. Entsprechend zurückgenommen auch die Klanglichkeit, reduziert auf die Betonung motivisch-thematischer Arbeit. Ein bedeutender Sibelius-Interpret vom Range Herbert von Karajans hat um dieses Werk lebenslang einen Bogen gemacht. Daß es keine Sibelius-Gesamteinspielung dieses Dirigenten gibt, liegt an Karajans Weigerung, die Dritte ins Repertoire zu nehmen!
Die interpretatorische Balance-Übung, die hier gefordert ist, gelang Colin Davis am besten: In seiner Gesamtaufnahme der Symphonien mit Boston Symphony, fein differenziert aufgenommen vom Philips-Team, herrscht jene Luzidität, die dieses Werk braucht.
4
5
6
7
Daß es zumindest einen Satz der sagenumwobenen Achten Symphonie gegeben hat, darf als gesichert gelten. Sibelius hat die Partitur an einen Verlagsmitarbeiter zum Kopieren gesandt - mit der Bemerkung, daß noch weitaus umfangreichere folgende Sätze zu erwarten seien.
Doch hat er die Handschrift später zurückverlangt und offenbar vernichtet. Auch von der Kopie exisiteren keine Spuren. Wie weit die Arbeit an den angekündigten »folgenden Sätzen« gediehen war, läßt sich nicht mehr feststellen. Sibelius hat alle Spuren getilgt. Sie Siebente sollte sein symphonischer Schwanengesang bleiben - obwohl er nach deren Vollendung noch Jahrzehnte zu leben hatte.
Früh schon hat Jean Sibelius Tondichtungen komponiert, früh auch hat er die dort entwickelte Tonsprache in symphonische Formen gegossen - er sah darin wie Gustav Mahler keinen Widerspruch. So trägt die erste seiner »Symphonien« keine Nummer, sondern einen programmatischen Namen und nutzt - das einzige Mal in Sibelius' symphonischem Schaffen - die Möglichkeit, Chor und Solostimmen einzubeziehen.
→ Kullervo-Symphonie
Kullervo op. 7
I. Introduktion. Allegro moderato
II. Kullervos Jugend Grave.
III. Kullervo und seine Schwester. Allegro vivace.
IV. Kullervo zieht in den Kampf. Alla marcia
V. Kullervos Tod Andante
Auch die vier Tondichtungen über das Leben des Helden Lemminkäinen nach einigen Strophen aus der finnischen Mythen-Sammlung »Kalevala«, darunter die einzeln ungemein populär gewordene Nummer Der Schwan von Tuonela, nehmen in als Zyklus den Charakter einer großen, etwa dreiviertestündigen Programm-Symphonie an.
→ Die Lemminkäinen-»Suite«
Lemminkäinen-Suite op. 22
Die »vier Legenden« sind symphonisch verarbeitete Restbestände von Skizzen, die Sibelius zu einem Opern-Plan nach Motiven aus Kalevala gemacht hat.