Robert Schumann
Die Klavierwerke
Ein überblick über Schumanns Schaffen für »sein« Instrument als Pandämonium der musikalischen Romantik - und der verschiedenen pianistischen Stil-Welten zwischen Paris, Wien, Rom, Leipzig und St. Petersburg.
Ein Klick auf den Stücktitel öffnet Informationen und CD-Tipps.
op. 1 Abegg-Variationen F-dur
Swjatoslav Richter hat die zum Teil aberwitzig schweren Variationen in atemberaubendem Tempo und in noch viel atemberaubenderer Stimmungsvielfalt realisiert. Der Livemitschnitt von seiner Italientournee, 1962, gehört zu den Schallplattenklassikern.
op. 2 Papillons
Die »Papillons« sind das erste der zyklischen Werke Schumanns, das in kleinteiligen Bilderfolgen Szenen oder Charakterportraits aus Jean-Pauls Roman Flegeljahre widerspiegelt - wie später vor allem auch der Carnaval. Vor allem das bunte Maskentreiben des Schlußkapitels des Romans hatte es Schumann angetan. Tatsächlich ist sein Opus 2 eine Sammlung, zusammengestellt aus skizzenhaften Entwürfen der Jahre 1829 - 1832, denen er schon im Vorfeld den Titel »Papillons« zugedacht hatte.
Auch das Opus 2 hat Swjatoslaw Richter gern und viel gespielt - in einer Produktion aus seiner frühen Zeit entwickelt er das Stück aus nachdenklich-improvisatorischem Beginn heraus zu einer Sammlung ungemein differenzierter psychologisierender Portraitstudien, in denen die Charaktere jäh wie in einem Maskentreiben aufeinanderprallen. Manche dynamischen Retuschen, die Richter vornimmt, machen das Geschehen noch vielgestaltiger als es bei Schumann schon ist. Und der raffiniert geschichtete Schluß nach dem Mitternachtsläuten scheint sich unter seinen Händen tatsächlich förmlich in Luft aufzulösen . . .
op. 3 Studien nach Capricen von Paganini
Wie für Franz Liszt war auch für Schumann das Erlebnis des Geigenvirtuosen Paganini einschneidend - die Hexenmeisterkünste, die der Italiener auf seinen vier Saiten demonstrierte, wollten die Pianisten-Komponisten auf ihr Instrument übertragen. Die Violin-Capricen, die Paganini veröffentlichte, boten die Grundlage, die technischern Anforderungen entsprechend zu adaptieren und damit die Kunst des Klavierspiels zu revolutionieren.
Für Schumann war das Pagnini-Erlebnis nicht nur ausschlaggebend, die Juristerei endgültig an den Nagel zu hängen, sondern seine pianistische Technik - und die Art, für Klavier zu komponieren - zu raffinieren. Auf dem Weg dazu publizierte er zwei Serien von Arrangements von Paganini-Capricen. Heft Nummer eins ist die Serie von Studien op. 3. Mehr noch als die folgende Reihe op. 10 orientiert sich Schumanns Arbeit so eng wie möglich an den Original-Stücken des Geigenvirtuosen. Ein Interpret, der das Opus 3 als Demonstrationsobjekt makkelloser Spieltechnik und klanglicher Beherrschung des Instruments nutzt, kann also nicht ganz falsch liegen. Nikita Magaloff hat für den Südwestdeutschen Runfunk eine Aufnahme der Studien gemacht, die außerordentlichen Maßstäben gehorcht und von der Rundfunkstation in Eigenregie auf CD auf den Markt gebracht wurde.
op. 4 Intermezzi für Klavier
Teil I
- 1. Allegro quasi maestoso
- 2. Presto a capriccio
- 3. Allegro marcato
- 4. Allegro semplice
- 5. Allegro moderato
- 6. Allegro
Teil II
Eine Art Forsetzung der Papillons, aber formal etwas ausführlicher gestaltet - so stellte sich für Schumann während der Entstehung die Reihe der Intermezzi dar, die er zunächst als Pièces phantastiques, op. 3 veröffentlichen wollte. Doch zog sich die Ausarbeitung der Stücke, die wiederum voll von Anspielungen auf eigene und fremde Werke - und wohl auch auf literarische Figuren und Szenen stecken. Ein euphorischer Ton wird des öfteren angeschlagen, geboren wohl aus der aufkeimenden Liebe zu Clara, sodaß wohl in Gedanken an sie vor allem das Allegro moderato »mit so unsäglicher Liebe geboren ward«, wie der Komponist seinem Tagebuch anvertraut.
Die Intermezzi erschienen ein Jahr nach ihrer Entstehung, 1833, versehen mit einer Widmung an den Komponistenkollegen und Klaviervirtuosen Johann Wenzeslaus Kalliwoda in Druck, der als Kapellmeister in Donaueschingen fungierte.
Eine idiomatisch-stimmungsvolle, wenn auch (vor allem aufnahmetechnisch) dynamisch nicht alle Extreme auslotende Aufnahme hat die Pianistin Claire Désert 2007 auf Mirare vorgelegt.
Eine erfreulich unsentimentale, die geradezu clownesk-gut-aufgelegten Momente der Stücke hervorkehrende Aufnahme der raren Intermezzi hat der irische Pianist Finghin Collins (Clara-Haski-Preisträger 1999) im Rahmen seiner Schumann-Gesamtaufnahme (Claves) vorgelegt.
x
op. 5 Impromptus über ein Thema von Clara Wieck (1. Fassung 1833)
(2. Fassung 1850)
op. 6 Davidsbündlertänze
Wilhelm Kempffs Einspielung für DGG ist eines der hinreißendsten Dokumente für eine Interpretation, geboren aus einem tiefen Verständnis für den Geist der deutschen Romantik. Der Eintritt des Wie aus der Ferne ist einer der magischen Momente der Aufnahmegeschichte: Kempff zaubert hier ein geradezu weltentrücktes Pianissimo aus den Tasten.
op. 7 Toccata C-dur
Die Aufnahme der Schumann'schen »Toccata« war eines der Heroenstücke von Joseph Lhevinne für Welte Mignon Klavierrollen - die Lockerheit, mit der hier die eminenten Schwierigkeiten gemeistert werden, während die Modulationsfähigkeit in Klang und Dynamik erhalten bleibt und das Tempo behutsam dem Charakter der jeweiligen Passage angepaßt wirde, das macht diese Einspielung zu einer Trouvaille für alle, die hören möchten, wie sich äußerste Virtuosität und Sinn für romantischen Klavierstil kombinieren lassen. Und die einen Beweis dafür haben möchten, daß es einem solchen Werk nicht darum gehen kann, die Musik in einunddemselben Tempo rasant herunterzurasseln. Lhevinne, der pianistisch absolut über den Dingen steht, präsentiert die Toccata als Charakterstück mit einer veritablen »Handlung«, die sich gegen Schluß zu immer mehr zuspitzt, um in ein geradezu verklärt-versöhnliches Finale zu münden. Das steht gewiß quer zur jüngeren Aufführungsgeschichte - wenn es denn angesichts des selten gespielten Stücks überhaupt eine geben sollte; die Diskrepanz spiegelt übrigens eine schon zu Schumanns Zeiten beginnende Änderung des Geschmacks wider. Ein Leipziger Rezensent brachte das auf den Punkt:
Schumanns Toccata ist so schwer, daß sie außer Schunke und Clara Wieck hier wohl niemand gut spielen kann. Beide spielen es verschieden. Ersterer trägt sie als Etüde vor mit höchster Meisterschaft, Letztere weiß sie zugleich poetisch aufzufassen und ihr durch und durch eine Seele einzuhauchen. Auch diesmal belebte sie es mit so zarten und tiefgefühlten Schattierungen, daß das originelle Tonstück, mit dem das Konzert frappant abschloß, in seinem höchsten Glanz erschien.
op. 8 Allegro h-moll
op. 9 Carnaval – Scènes mignonnes sur quatre notes
Mit dem Carnaval hat uns der große Komponisten-Pianist Sergej Rachmaninow seine vielleicht wichtigste Aufnahme eines Werks eines anderen Komponisten geschenkt: Daß die viel zitierte russische und die deutsche Klavierschule eng miteinander verwandt sind, läßt sich hier eindrucksvoll nachhören: Mit höchstem Raffinement führt uns Rachmaninow die einzelnen Figuren in Schumanns tönendem Spiegelkabinett vor, das der Ballszene aus den Flegeljahren von Jean Paul nachgebildeten ist. Die technische Meisterschaft des Pianisten ist unfehlbar, die klangliche Differenzierungskunst nicht minder - und die Tänze, vom Walzer bis zur Galoppade klingen im wahrsten Sinne des Wortes springlebendig.
op. 10 Sechs Konzert-Etüden nach Capricen von Paganini
op. 11 Klaviersonate Nr. 1 fis-moll
Die erste der von Schumann zur »Klaviersonate« erklärten Werke, die Sonate in fis-Moll op. 11, ist auf Grund ihrer formalen Eigenwilligkeiten die unzugänglichste der drei einschlägigen Werke des Komponisten. Nur wenige Pianisten wagen sich live über das Werk - und noch seltener gelang eine überzeugende Aufnahme.
Emil Gilels legte Anfang der Sechzigerjahre allerdings eine hinreißende Einspielungvor, die er bei der ersten Auflage der Schallplatte bemerkenswerterweise mit Sergej Prokofieffs stürmischer Zweiter Sonate koppelte. Das sagt viel aus, immerhin findet sich bei Schumann ja einmal der Hinweis, diese Musik sei „senza passione ma espressivo“ zu musizieren, was nur scheinbar ein Widerspruch ist. Eben die Unterscheidung zwischen Leidenschaft und Ausdruck machen zu können, zeichnet nicht nur einen veritablen Schumannspieler aus. Gilels gelingt die Balance, die hier gefordert ist, scheinbar ganz mühelos, ausschweifende Phantastik und konzise Aussage stehen nebeneinander, scheinbar unzusammenhängend, doch im größeren Zusammenhang völlig logisch, in der „großen Erzählung“ jedenfalls zwingen: Auf die breite Einleitung folgt ein tänzerisch bewegtes Allegro, das aus einem „Fandango“ hervorgegangen ist, auf das arrangierte Lied ein von einem ruhigen Intermezzo unterbrochenes Scherzo und ein zerklüftetes Finale. Man muß das wie ein Märchenerzähler entwickeln, dann findet der Hörer seinen roten Faden. Bei Gilels findet man ihn, lauscht fasziniert und will, wie das Kind bei der Großmutter, die Geschichte am Ende sogleich noch einmal hören . . .
Eine grandiose, weil strukturell ungemein klare, durchhörbar-analytische Darstellung des komplexen Stücks gelang in Jugendjahren dem Wiener Pianisten Paul Badura-Skoda. Die Einspielung ist bei einigen Streaming-Diensten greifbar.
op. 12 Fantasiestücke für Klavier
- Heft I
- Nr. 1 Des Abends. Sehr innig zu spielen
- Nr. 2 Aufschwung. Sehr rasch
- Nr. 3 Warum? Langsam und zart
- Nr. 4 Grillen. Mit Humor
Heft II
Nr. 5 In der Nacht. Mit Leidenschaft - Nr. 6 Fabel. Langsam
- Nr. 7 Traumes Wirren. Äußerst Lebhaft
- Nr. 8
- Ende vom Lied. Mit gutem Humor
Friedrich Guldas Aufnahme der Fantasiestücke ist von fesselender Dynamik und großer Poesie, ohne jede Pose - hier herrscht die Klarheit äußerster klanglicher Ökonomie, strukturbetont, unverzärtelt, aber doch liebevoll nuanciert bis ins kleinste Details und daher anrührend - quasi von innen heraus, jegliche Effekthascherei vermeidend. Große pianistische Kunst - ein Interpret, wieder »in der Spur«, quasi als Entschädigung für die unsäglichen Töne, die Ursula Anders auf dieser CD im Liederkreis hören läßt . . .
X
op. 13 Symphonische Etüden cis-moll
Details zum Werk
Thema. Andante
Etüde I. Un poco più vivo
Etüde II. Moderato
Etüde III. Vivace
Etüde IV. Allegro energico
Etüde V. Scherzando
Etüde VI. Agitato
Etüde VII. Allegro molto
Etüde VIII. Grave
Etüde IX. Presto possibile
Etüde X.
Etüde XI. Con espressione
Etüde XII. Allegro brillante
Ich möchte gern den Trauermarsch nach und nach zu einem recht stolzen Siegeszug steigern u. überdies einiges dramatisches Interesse hineinbringen, komme aber nicht aus dem Moll, u. mit der »Absicht« beim Schaffen trifft man oft fehl und wird zu materiell.
Viele Interpreten, die nicht zuletzt der technische Aspekt der von Schumann nicht von ungefähr als Etüden bezeichneten Variationen-Folge, sind von der Idee fasziniert, einige (oder alle) der nachgelassenen Variationen ins Werk-Ganze zu integrieren, die Schumann bei der Drucklegung bewußt weggelassen hat, um den symphonischen Aufbau des Zyklus nicht aus der Balance zu bringen. Durch die Integration nachgelassener Etüden nimmt man dem Zyklus den symphonischen Anspruch und rückt ihn in die Nähe der Reihungsformen anderer, in der übergreifenden Formgebung weniger ehrgeiziger Schumann-Zyklen.
Eine der mitreißendsten, dramaturgisch von Variation zu Variation gesteigerten, technisch brillanten Aufnahmen des Zyklus stammt von Géza Anda aus den Fünfzigerjahren, trotz der Mono-Qualität eine wunderbare Umsetzung der poetischen Welt dieser Musik - und ihrer technischen Brillanz.
op. 14 Klaviersonate Nr. 3 f-moll
Nicht viel weniger schwierig in Form und Inhalt als die Sonate Nr. 1, weil ähnlich phantastisch (beinah möchte man im Fall beider Sonaten sagen: zerklüftet) ist die als Nr. 3 gezählte f-Moll-Sonate op. 14, deren (etwas gekürzte) Erstfassung Jorge Bolet wunderbar aufschlüsselt hat. Ein Meister des farbenreichen romantischen Klaviertons, schreckt Bolet bei aller Phantastik und Poesie auch vor den eminenten pianistischen Anforderungen der Komposition nicht zurück. Wenn es im Finale heißt: »Prestissimo possibile«, dann kann dieser Interpret das auch umsetzen, ohne daß die Struktur der Musik etwas von ihrer Durchhörbarkeit etwas einbüßte.
op. 15 Kinderszenen
Details zum Werk
- Von fremden Ländern und Menschen
- Kuriose Geschichte
- Hasche-Mann
- Bittendes Kind
- Glückes genug
- Wichtige Begebenheit
- Träumerei
- Am Kamin
- Ritter vom Steckenpferd
- Fast zu ernst
- Fürchtenmachen
- Kind im Einschlummern
- Der Dichter spricht
Den Charakter dieser Werkreihe hat Schumann in einem Brief an Clara umrissen:
Ich habe an die 30 kleine putzige Dinger geschrieben, und davon zwölf ausgelesen und 'Kinderscenen' genannt ... Du wirst Dich daran erfreuen, mußt Dich aber freilich als Virtuosin vergeßen.Die Kinderszenen, im Druck noch um eine 13. Nummer vermehrt, sind im Umfeld der Noveletten entstanden - in einer Phase der Hochstimmung, als die mögliche Hochzeit mit Clara Wieck in greifbare Nähe rückte.
Die poetischen Titel, mit denen Schumann vor der Drucklegung die einzelnen Nummern versehen hat, verraten vielleicht mehr über seine Vorstellungen über das kommende Familienidyll an Claras Seite als über den wahren Charakter der Musik. Jedenfalls sorgten sie bald für Mißverständnisse. Der Schriftsteller und Kritiker Ludwig Rellstab ortete ein Mißverhältnis zwischen Form und Inhalt:
Wenn ... man sieht, wie diese Stückchen meist auf einer Seite stehen, und nur etwa zwei achttaktige Teile lang sind, so muß man doch wohl auf den Gedanken geraten, daß diese Kinderszenen auch für Kinder, die Klavier spielen, geschrieben sein sollten. Doch dem widerspricht ihre Struktur ganz und gar; ein Kind, das nicht drei Hände hat, kann diese kleinen Stückchen nicht spielen.Nun hatte Schumann gerade von Rellstab nicht die höchste Meinung. Bei anderer Gelegenheit meinte er: »Sie glauben nicht, was der Mensch hier für Schaden anrichtet,« Mit seiner Kritik an den Kinderszenen war der Rezensent dem Komponisten aber zu weit gegangen:
Ungeschickteres und Bornirteres ist mir aber nicht leicht vorgekommen, als was Rellstab über meine Kinderszenen geschrieben. Der meint wohl, ich stelle mir ein schreiendes Kind hin und suche die Töne dann danach. Umgekehrt ist es. Doch leugne ich nicht, das mir einige Kinderköpfe vorschwebten beim Componiren; die Überschriften entstanden aber natürlich später und sind eigentlich nichts als feinere Fingerzeige für Vortrag und Auffassung. Rellstab sieht aber wahrhaftig nicht viel über das ABC hinaus manchmal und will nur Akkorde.
Sie müsse sich »als Virtuosin vergessen«, schrieb Schumann an seine Clara, für den Fall, daß sie sich den Kinderszenen zuwenden wollte. »Als Virtuose« vergessen hat sich auch Vladimir Horowitz gern, der diese Werkreihe - mit dem Allzeit-»Schlager« namens Träumerei inmitten, bis in seine letzten Jahre hin - und bis zu seinem letzten Live-Auftritt in Hamburg - gern und oft und mit verschmitzter Lust an erzählerischer Detailmalerei gespielt hat.
op. 16 Kreisleriana
Details zum Werk
- Phantasien für Klavier op.16
Nr. 1 Äußerst bewegt
Nr. 2 Sehr innig und nicht zu rasch
Nr. 3 Sehr aufgeregt
Nr. 4 Sehr langsam
Nr. 5 Sehr lebhaft
Nr. 6 Sehr langsam
Nr. 7 Sehr rasch
Nr. 8 Schnell und spielend
Den Titel für seine dunkel und geheimnisvoll getönten Stücke entlehnte der Komponist bei E. T. A. Hoffmann. Dessen autobiographisch geprägter »Kapellmeister Johannes Kreisler« war auch für Schumanns eine Identifkationsfigur - romantischer Geist, getrieben und von einander widerstrebenden Gefühlen zerrüttet auch er selbst. In der Musik der Kreisleriana kommt diese Getriebenheit, die gespaltene Persönlichkeit voll zur Geltung, himmelhochhauchzend, zu Tode betrübt, heimlichtuend, im Verborgenen munkelnd . . .
Schumann spiegelt musikalisch seinen Seelenzustand, von Tag zu Tag auf Nachricht von seiner geliebten Clara wartend, deren Vater jeglichen Kontakt verboten hatte und die gerade auf Konzertreise in Wien weilte, wohin sie Robert dann auch empfahl. In der quälenden Zeit der Ungewißheit entstanden die acht »Phantasien«. Clara nahm sie bald in ihr Repertoire auf und spielte sie immer wieder - doch durfte sie die Widmung (wohl auf Druck des Vaters) nicht annehmen. Schumanns Opus 16 erschien mit einer Widmung an Frédéric Chopin in Druck.
Bei Vladimir Horowitz schwingt die ganze Dämonie und sinistre Stimmung der hoffmannesken Figurenwelt mit; eine Aufnahme von singulärem Tiefgang, Geheimnis, Magie . . .
op. 17 Fantasie C-dur
Details zum Werk
- Durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen
- Mäßig. Durchaus energisch
- Langsam getragen. Durchweg leise zu halten
Gleichzeitig entstanden Skizzen zu einem dreisätzigen Werk, das zunächst eine Klaviersonate weden sollte. dem Verleger Kistner kündigte Schumann das Stück unter Bemühung seiner Pseudonyme mit den Worten an
Florestan und Eusebius wünschen gern etwas für Beethovens Monument zu thun und haben zu diesem Zweck etwas unter folgendem Titel geschrieben: Ruinen. Trophaeen. Palmen. Große Sonate f. d. Pianof.Florestan, der Feurige, und Eusebius, der Schwärmer, dachten bei der Musik freilich weniger an Beethoven als an die geliebte Clara Wieck, die auf Konzerttournee war und der Schumann nach dem Wunsch ihres Vaters entsagen hätte sollen.
Die Phantasie kannst Du nur verstehen, wenn Du Dich in den unglücklichen Sommer 1836 zurückversetzt, wo ich Dir entsagte. ... Der erste Satz davon ist wohl mein Passionirtestes, was ich je gemacht – eine tiefe Klage um Dichschrieb Schumann an Clara.
Wenn im weihevollen Final-Hymnus aus Beethovens Lieder-Zyklus An die ferne Geliebte die Passage Nimm sie hin denn, diese Lieder zitiert wird, dann scheint das recht doppeldeutig. Die Zeitgenossen mochten es als Hommage an Beethoven verstehen.
Auch das Zitat aus Friedrich Schlegels »Abendröte«, das Schumann als Motto an den Anfang stellte, wendet sich in Wahrheit an Clara:
Durch alle Töne tönet / Im bunten Erdentraum / Ein leiser Ton gezogen / Für den, der heimlich lauschet.In einem Brief an Clara heißt es später einmal: »Der ,Ton' im Motto bist Du wohl.«
Clara und Franz Liszt, die heimliche Widmungsträgerin und der, der die Komposition angeregt hatte, waren in den ersten Jahren die vehementesten Proponenten von Schumanns Werk. Sie machten sie auf Kozert-Reisen international bekannt. Später nahm auch Johannes Brahms das Werk in sein Repertoire auf.
Vom großen Atem und der Erzählmächtigkeit des deutschen Klavierstils kündet noch die Aufnahme der Fantasie durch Walter Gieseking, der schon den ersten, stürmischen Takten neben vorwärtsdrängendem Elan auch hohe Poesie verleiht. Es gibt, gewiß, vor alem von den heiklen Passagen des raschen Mittelsatzes treffsicherere Einspielungen - das Beethoven-Zitat im weit gesungenen Schluß-Adagio aber rückt Gieseking in eine geradezu märchenhaft entrückte Stimmung.
op. 18 Arabeske C-dur
Die Arabeske ist ein Werk der Wiener Zeit Schumanns und wendet einen Begriff der Bildenden Kunst auf die Musik an. »Leicht und zart« vorzutragen, erinnert das klar gegliederte Rondo an des Philosophen Friedrich Schlegels Definition einer »Arabeske« in der Literatur als älteste und ursprünglichste Form menschlicher Fantasie.
Mieczyslaw Horszowski hat das poetische Stück in all seiner Fragilität und pastelliger Farbigkeit aus dem Flügel gezaubert und ganz bewußt neben Mozart-Sonaten placiert: Klassische Formgebung löst sich bei Schumanns in figurativ-ornamental gerahmte Stimmungmalerei.
op. 19 Blumenstück Des-dur
Ein unmittelbares Nachbarstück zur Arabeske, Frucht des Wien-Aufenthalts von 1838/39 wie die Humoreske op. 20, das Finale der g-moll-Sonate, die Nachtstücke op. 23 und drei der Klavierstücke op. 32.
Wie die Arabeske sei auch das Blumenstück etwas »für Damen«, befand der Komponist abschäzig.
Für Interpreten sind beide Stücke Herausforderungen in Sachen Koloristik und Anschlagkultur. Vladimir Horowitz hat sich einen Spaß daraus gemacht, das Blumenstück sozusagen Blütenblatt für Blütenblatt subtil auszuleuchten.
op. 20 Humoreske B-dur
Den kauzigen Humor, die Hintergründigkeit dieser Musik kommt in der feinsinnigen Einspielung des russischen Meisters Samuil Feinberg besonders gut zum Tragen. Virtuosität, die auf leisen Sohlen daherkommt und behutsamst, rhythmisch subtil differenzierend Pointen setzt, oft im Flüsterton, manchmal überstürzt, wie gejagt, dann wieder vollkommen verträumt, schlafwandlerisch...
op. 21 Novelletten
Yvonne Loriod, man kennt sie als Spezialistin für Neue Musik, vor allem für die Werke ihres Ehemannes Olivier Messiaen, pflegt, aus der französischen Schule kommend, einen analytischen Blick auf die Partituren und einen stets trocken-prägnanten Anschlag, der seine perlende Qualität auch in lyrischen Passagen nicht verliert, die Loriod durchaus mit Sinn für weiche Legato-Bögen musiziert. Prägnanter Rhythmus, artikulatorische Klarheit dominieren aber ihre bemerkenswerte Gesamtaufnahme der Noveletten, die mitunter auch einen bärbeißig-strengen Schumann zeigen. Falsche Verzärtelung im Sinne eines mißverständlichen »Romantik«-Begriffs droht in diesen knapp 50 Minuten jedenfalls in keinem Moment.
op. 22 Klaviersonate Nr. 2 g-moll
Gegenüber den beiden (numerisch) vorangegangenen Klaviersonaten Schuammanns ist jene in g-Moll beinahe als leicht zugängliches Werk zu taxieren. Von ihr gibt es zahlreiche ausgezeichnete Wiedergaben, von der kraftvoll-virtuosen Martha Argerich zum innigen, tief lotenden Wilhelm Kempff.
op. 23 Nachtstücke
Details zum Werk
- 1. Mehr langsam, oft zurückhaltend
- Trauerzug
- 2. Markiert und lebhaft
- Kuriose Gesellschaft
- 3. Mit großer Lebhaftigkeit
- Nächtliches Gelage
- 4. Ad libitum - Einfach.
- Rundgesang mit Solostimmen
Nr. 3, ein Tanzsatz im markant pontierten Walzerrhythmus, ist dank der kontrastierend eingeschobenen Episoden das vielschichtgste der Stücke und erinnert am meisten an die im Titel assoziativ angedeutete Verwandtschaft der Musik mit der abgründigen, oft gespenstischen Bilderwelt E. T. A. Hoffmanns, dessen Stilistik auch der Abschuß von Schumanns Werk entspricht: Nr. 4 schleicht sich schlicht wie ein Volkslied, also sozusagen mit Unschuldsmiene aus dem Geschehen . . .
Mit einer feinen Schumann-CD machte 2020 der ungarische Pianist Zoltán Fejérvári auf sich aufmerksam: Er hat das Gespür für die »Heimlichkeiten« dieser Musik, erzählt sie seinem Hörer quasi in aller Verschwiegenheit, aber doch in aller Deutlichkeit.
Schumann schreibt diesen eigenwilligen Zyklus in der Bedrängnis der zu Ende gehenden Wiener Zeit - er nennt sein Werk im Tagebuch eine Leichenfantasie und gibt, nachdem er während der Komposition vom Tod seines Bruders erfahren hat, den vier Sätzen Titel mit auf den Weg. Diese ahnungsvollen programmatischen Andeutungen entfernt er auf Claras Anraten vor der Drucklegung allerdings wieder aus dem Manuskript.
op. 26 Faschingsschwank aus Wien
Details zum Werk
Jedenfalls ist der Faschingsschwank ein tönendes Dokument von Schumanns freigeistiger Gesinnung - die ihn ja auch in Wien als Musik-Schriftsteller scheitern ließ.
Die fünf
Fantasiebilder für Klavier op. 26
tragen folgende Vortragsbezeichnungen:
- Allegro. Sehr lebhaft
- Romanze. Ziemlich langsam
- Scherzino
- Intermezzo. Mit größter Energie
- Finale. Höchst lebhaft
Die Musik entstand in unmittelbarer Nähe zu den Nachtstücken, dem nachmaligen Opus 23. Das Intermezzo erschien sogar in einem Vorabdruck mit dem Vermerk »Aus bald erscheinenden Nachtstücken«.
Der Faschingsschwank evoziert - wie etwa auch der Carnaval oder die Papillons ein buntes Maskentreiben, doch sind die Sätze raumgreifender und formal ehrgeiziger gearbeitet. Dennoch schreckte Schumann - wie bei der noch großzügiger angelegten C-Dur-Fantasie vor der Bezeichnung Sonate zurück.
Tatsächlich enthält der Werkzyklus die üblichen »Sonaten-Sätze« quasi in umgekehrter Reihenfolge: der Faschingsschwank beginnt mit einem Rondo und endet mit einem Stück in Sonatenform, dessen toccatenartige Bewegung allerdings auf eine virtuose Final-Wirkung zudrängt.
Arturo Benedetti-Michelangelis Einspielung, bewundert seit ihrem ersten Erscheinen, gehört in ihrer unfehlbaren klanglichen Schattierungstechnik, die auch noch im buntesten Karnevals-Treiben die volle Kontrolle über jede einzelne Figur behält, zu den kleinen Wundern im pianistischen Aufnahme-Katalog.
op. 28 Drei Romanzen
Musik der Unsicherheit, aber auch Musik der Heimkehr: Von seinem Wien-Aufenthalt kehrte Schumann im Frühjahr 1839 zurück nach Deutschland - seiner Clara in die Arme; freilich mit Hindernissen. Erst galt es, den nach wie vor ungebrochenen Wiederstand von Claras Vater (mit juristischen Mitteln) zu brechen. Clara beanspruchte die in dieser Zeit entstandenen Romanzen für sich - obwohl der Verlobte sie »ihrer nicht würdig« fand (und ihr schließlich den Liederzyklus Myrthen zu Füßen legte).
Clara freilich befand:
Auf die Romanzen mache ich aber Anspruch; als Deine Braut mußt Du mir durchaus noch etwas dedicieren, und da weiß ich denn doch nichts Zarteres als diese 3 Romanzen, besonders die Mittelste, die ja das schönste Liebesduett.
Tatsächlich setzt Schumann in dieser Fis-Dur-Romanze volksliedartig-schlichte Melodik in einen poetisch-filigranen Rahmen und zauberte auf diese Weise eines der innigsten Stücke deutscher musikalischer Romantik hervor. Die umrahmenden Stücke allerdings zeugen von Unrast und Unsicherheit, kennen sinistre Farben und orientieren sich mehr am epischen Balladen-Stil als an amouröser Lyrik.
Nr. 1 (in b-moll) gibt sich düster, unruhig und selbst im zarter getönten Mittelteil von harmonischer Unrast geprägt, durchwandert die Musik doch die weite Spanne von C- nach Fis-Dur.
Romanze Nr. 3 (in H-Dur) kontrastiert zum »Liebesduett« des vorangehenden Stücks durch trotzige Marsch-Rhythmen. Zwei »Zwischenspiele« sorgen für Stimmungswechsel und - im zweiten - durch komplexe rhythmische Strukturen für einige Verunsicherung.
Bemerkenswert ist, daß Schumann zur optischen Darstellung seiner vielschichtigen Klangvorstellungen dazu übergeht, die Musik seiner Romanzen teilweise auf drei Notensystemen zu notieren.
op. 32 Scherzo, Gigue, Romanze, Fughetta
op. 56 Studien für Pedal-Flügel
op. 58 Vier Skizzen für Pedal-Flügel
op. 68 Klavieralbum für die Jugend
op. 72 Vier Fugen
op. 76 Vier Märsche
op. 82 Waldszenen
Details zum Werk
- Nr. 1 Eintritt
- Nr. 2 Jäger auf der Lauer
- Nr. 3 Einsame Blumen
- Nr. 4 Verrufene Stelle
- Nr. 5 Freundliche Landschaft
- Nr. 6 Herberge
- Nr. 7 Vogel als Prophet
- Nr. 8 Jagdlied
- Nr. 9 Abschied
op. 99 Bunte Blätter
Clara Haskil hat diesen späten, verwirrend abwechslungsreichen Zyklus liebevoll aufgenommen. Ein Schleier von Melancholie überlagert schon das erste der fünf Stücklein, wie Schumann die ersten Sätze der Reihe selbst nennt. Ungemein delikat setzt die Pianistin dynamische Akzente und bewahrt auch den virtuos-vorwärtsdrängenden Passagen einen Rest von Geheimnis.
op. 111 Drei Phantasiestücke
op. 118 Drei Klaviersonaten für die Jugend
op. 124 Albumblätter
op. 126 Sieben Klavierstücke in Fughettenform
op. 133 Gesänge in der Frühe
Wenige Wochen vor seinem Selbstmordversuch vollendete Schumann dieses, sein letztes Klavierwerk. Es ist nur Kennern bekannt. Anders als früher so oft, hatte sich der Komponist lange mit dem Plan zu diesem Werk getragen. Hölderlins Diotima spukte ihm durch den Kopf. Er strich den Namen letztendlich aber doch aus dem Titel und beließ es bei den Gesängen der Frühe. Zumal sich auch die Freunde Joachim und Brahms skeptisch über mögliche literarische Bezüge geäußert hatten.
Maurizio Pollini beliebte mit diesem Werk sein Publikum, das mit dem Namen Schumann ganz andere Klänge verband, zu überraschen und zu verwirren. Mit den harmonisch oft aparten Rückungen und der kargen Melodik dieses Spätwerks konnte schon Clara wenig anfangen. Sie sprach von
ganz originellen Stücken, ... aber schwer aufzufassen, es ist so eine ganz eigne Stimmung darin.
Doch Schumann selbst überwachte noch aus der Nervenheilanstalt heaus die Drucklegungen der Gesänge. Nach langem Überlegen beließ er auch den choralartigen Eingangssatz, aus dem variativ die Nummer 2 herauswächst und der sich mit dem Final-Choral ausbalanciert, den Sechzehntelgirlanden fantastisch umranken und überwuchern. Zwischen die drei in D-Dur stehenden Abschnitte schiebt sich der A-Dur/fis-Moll-Block der Nummern 3 und 4, in denen Tempo (und klaviertechnischer Anspruch) kräftig anziehen.
Piotr Anderszewski findet für seine CD mit Schumann-Raritäten (sie enthält auch noch die Humoreske und die Studien für den Pedalflügel) den rechten Tonfall, versonnen, hie aber auch extrovertiert, wie fantasierend. Vor allem besticht der Sinn für das Cantabile - es handelt sich schließlich um Gesänge -, die durchwegs, auch im Jagdlied-artigen zentralen Teil der fünsätzigen Komposition herrscht.