Sergej Tanejew
1856 – 1915
Tanejew war eine der ungewöhnlichsten Persönlichkeiten der russischen Romantik. Als Meisterschüler Peter I. Tschaikowskys und Nikolai Rubinsteins, der dem Teenager zur Musikerkarriere geraten hatte, reüssierte er zunächst international als meisterhafter Pianist, doch wurde er als Tschaikowskys Nachfolger bald zu einem gesuchten Kompositions-Lehrer, der eine Zeitlang auch das Moskauer Konservatorium leitete.
Der Lehrer
Zu seinen Schülern zählen Rachmaninow, Skrjabin, Medtner, Gretschaninow und Glière. Tanejews Lektionen waren gefürchtet, denn er war von beißendem, oft sarkastischem Humor und konzentrierte sich vor allem, je älter er wurde, immer mehr auf das Unterrichten des strengen Satzes.Geschult hat er sich in diszipliniertem Selbststudium: Er übersetzte Ludwig Bußlers Formenlehre ins Russische und schrieb vor Amtsantritt am Konservatorium Fugen in allen Kirchentonarten sowie 140 strenge Übungen im doppelten Kontrapunkt über ein russisches Volkslied, weil er der Ansicht war, eine genuin russische Musik könne nur aus dem akribischen Studium der Volksmusik und deren vollkommener technischer Beherrschung - in Form einer »russischen Polyphonie« - entstehen. Auch die westliche Musik sei aus kontrapunktischer Verarbeitung von Kirchengesängen und Volksliedern entstanden. Tanejew war überdies Mathematiker und exzellenter Schachspieler und riet seinen Studenten, vor der Arbeit an einem neuen Werk, sei es eine Oper oder ein Streichquartett, das thematische Material zunächst in kontrapunktischen Übungen durchzuarbeiten.
Tanejews kontrapunktische Meisterschaft ist in seiner Musik denn auch durchaus zu hören, die sehr oft weitab vom Pfad der gewohnten, oft spontan improvisatorisch wirkenden, melodienreichen russischen Romantik wandelt. Selbstkritisch unterließ es Tanejew beispielsweise, seine ersten drei (noch unter Tschaikowskys Aufsicht entstandenen) Versuche im Genre Streichquartett zu publizieren. Sie wurden erst posthum, 1952, gedruckt und irritierenderweise chronologisch irreführend als Nr. 7 bis 9 numeriert. Nun firmiert das 1883 vollendete (in Wahrheit dritte) Quartett im Werkkatalog als »Neuntes Streichquartett 9«.»Johann von Damaskus«
Die Kantate Johann von Damaskus gilt in Rußland bis heute als Tanejews Meisterwerk. Als Textvorlage wählte er vier Strophen aus Alexei Tolstois Gedicht auf den Heiligen, der die Askese dem Lärm der Welt vorzog. Tanejew nutze die Verse für eine spirituelle Kantate über den Weg des Menschen durch Finsternis und Anfechtung zur apokalyptischen Reinigung und Erlösung.Symphonien und Opern-Trilogie
Von Tanejews Symphonien wird die vierte (und letzte) am häufigsten gespielt. Eher als Kuriosum führen die Lexika das ehrgeizigstes Werk des Komponisten an: Die Vertonung der Orestie des Aischylos, ein russisch-antikes dreiteiliges Gegenstück zu Richard Wagners germanisch-mythologischem Ring des Nibelungen.Tanejews Ende gleicht einer tragischen Anekdote: Anläßlich des Begräbnisses von Alexander Skrjabin zog er sich eine starke Erkältung zu, deren Folgen er wenig später erlag.
Aufnahmen
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