Maurische Rhapsodie
Engelbert Humperdinck
(1854 - 1921)
Die Sätze
Engelbert Humperdinck war der Lehrer von Siegfried Wagner - und der Sohn von Humperdincks Idol Richard Wagner hat später durchaus nicht nur am Schaffen seines übermächtigen Herrn Papas, sondern auch an den Werken seines Lehrer Maß genommen: Einer Märchenoper, Hänsel und Gretel (1893) verdankte Humperdinck seinen Weltruhm. Selbst die gelungsten seiner weiteren Werke, Königskinder und Dornröschen konnten nicht annähernd den Nimbus der beiden Opernkinder erreichen, die sich im Wald verliefen . . .
Für den Konzertsaal schuf Humperdinck zumindest ein Werk, das dauerhafte Präsenz in den Spielplänen genießen könnte: Die Maurische Rhapsodie entstand nach dem Rückzug des Komponisten von seiner Lehrtätigkeit in Frankfurt, die er 1896 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Im Sommer 1898 erinnerte sich Humperdinck in seinem Wohnsitz in Koblenz der Eindrücke einer Reise nach Südspanien und Marokko, die er im Jahr 1883 unternommen hatte. Nun versuchte er sie musikalisch widerzuspiegeln. Vorarbeiten zu diesem Werk waren die Skizzen zu einer Maurischen Suite (1887) und einer Maurischen Symphonie (1887). Ein Kompositionsauftrag aus Leeds spornte Humperdinck an, diese Entwürfe zu finalisieren. Er selbst dirigierte im Herbst 1898 die Uraufführung der Maurischen Rhapsodie beim Leeds Music Festival. Für das gedruckte Konzertprogramm bestellten die Veranstalter einen Einführungstext, den der Vater des Komponisten, Gustav Humperdinck, verfaßte - er gab seinem Text die Form eines dreiteiliges Gedichts, das auch im Vorsatz der gedruckten Partitur zu finden war - obwohl Freunde des Komponisten feststellten, daß die Erzählungen Engelbert Humperdincks und der Inhalt des Gedichts einander wenig ähnelten. Daß Humperdinck dennoch die verfälschend-poetischen Verse seines Vaters nicht verworfen hat, lag wohl daran, daß er den 75-jährigen Mann nicht beleidigen wollte.
Informativer ist zweifellos die Einschätzung des Werks durch den Komponisten-Kollegen Wilhelm Kienzl, der im jahr 1900 im Grazer Tagblatt schrieb:
Humperdincks Rhapsodie ist ein Meisterwerk in in der harmonischen Verbindung des Dichterischen mit dem absolut Musikalischen. Es lebt in ihr der Zauber der Persönlichkeit des Künstlers. Nicht als Schilderung im landläufigen Sinne sind die drei Theile . . . zu betrachten, sondern als lyrische Stimmungen größten Stils. So intensive Poesie in Tönen wird es unter den Werken lebender deutschen Meister wenig geben. Was mir die Kunst Humperdincks noch über die von Richard Strauss stellt, ist das tiefe Gemüth, dem sie ihre Äußerungen verdankt. Und welch feiner, liebeswürdiger, schalkhafter Humor macht sich in ihr überall dort geltend, wo der Vorwurf dazu irgend Veranlassung bietet, wie in der geradezu genialen Mohrencafé-Scene. Und was für eine edle, geklärte Kunst spricht aus der Orchesterbehandlung Humperdincks!
Das Leipziger Gewandhaus-Orchester hat unter Hermann Abendroth eine stimmungsvolle Aufnahme der Maurischen Rhapsodie vorgelegt, die verschiedentlich wieder aufgelegt wurde. Sie ist auch bei manchen Streaming-Diensten veröffentlicht worden und findet sich auf Artur Rothers Aufnahme von Hänsel und Gretel als »Zugabe« auf CD 2. (Walhall)